Wer Bist Du, Gott
mich auch fühlsam Gott gegenüber.«
Mit großer Leidenschaft sagt Pierre Teilhard de Chardin (in: Schiwy 2005, S. 179): »Wer vom göttlichen Bereich leidenschaftlich gepackt ist, kann um sich keine Dunkelheit, keine Lauheit und keine Leere in dem ertragen, was von Gott erfüllt sein und von Gott schwingen sollte.Wenn er an die unzähligen Seelen denkt, die in der Einheit derselben Welt mit ihm verbunden sind und um die herum das Feuer der göttlichen Gegenwart noch ungenügend brennt, so fühlt er sich gleichsam erstarrt. Eine Zeit lang konnte er glauben, es genüge, nur seinen Arm auszustrecken, um Gott so zu berühren, wie er es wünschte. Jetzt aber merkt er, dass die einzige menschliche Umarmung, die das Göttliche würdig zu umfassen fähig ist, die Umarmung aller menschlichen Arme ist, die alle miteinander ausgebreitet sind, um das Feuer herabzurufen und zu empfangen. Das einzige Subjekt, das
der mystischen Verklärung endgültig fähig ist, ist die ganze Gemeinschaft der Menschen, die in der Liebe nur noch einen einzigen Leib und eine einzige Seele bildet.«
ANSELM GRÜN: Jeder von uns erfährt auf dem Weg der Liebe Erfüllung und Enttäuschung,Verzauberung und Verletzung. Viele jammern dann, wenn sie sich in einen Menschen verliebt haben und ihre Liebe nicht erwidert wird. Oder sie erleben in der Ehe, dass die Liebe nicht mehr so stark fließt wie zu Beginn des Verliebtseins. Doch das Jammern hilft nicht weiter. Es führt nur dazu, den anderen anzuklagen, dass er mich zu wenig liebt. Mir hilft die Vorstellung: Sowohl die Erfüllung als auch die Enttäuschung, die Verzauberung und die Verletzung möchten meine Sehnsucht nach der Liebe anstacheln, die in mir ist, die nie versiegt, weil sie göttlich ist. Dann überfordere ich die Menschen nicht mit meinen Erwartungen nach Liebe.
Die Liebe zu Gott ist dann auch keine Flucht vor der Liebe der Menschen. Ich überhöhe nicht meine Beziehungslosigkeit, indem ich von der Liebe Gottes spreche und meine, ich könnte auf die Liebe der Menschen verzichten. Vielmehr ermöglicht mir die Liebe Gottes, die Liebe, die ich zu Menschen spüre und die Menschen mir schenken, zu genießen. Sie verweist mich immer wieder auf die Liebe, die im Grund meiner Seele in mir strömt und die letztlich Gott selbst ist, der Liebe ist.
WUNIBALDMÜLLER: Die Fähigkeit, in eine direkte Beziehung zu einem anderen Menschen treten zu können, bis dahin, einen anderen wahrhaft lieben zu können, wird uns
ja nicht in den Schoß gelegt. Wir können sie erwerben, wenn wir uns den Entwicklungsschritten stellen, bei denen wir zunehmend fähig werden, uns in andere Menschen einzufühlen, ihnen nahe zu sein und wahrhaft lieben zu können. Manche versuchen diesen Weg, der sie fähig macht, wirklich zu lieben, zu umgehen, und das im Namen der Spiritualität. Das kann eine Form spiritueller Abkürzung sein. Bei ihnen besteht die Gefahr, dass sie, anstatt den schwierigeren Weg zu gehen, der zur Auseinandersetzung mit ihren Mitmenschen einlädt und der es erfordert, sich zu öffnen und sich somit verwundbar zu machen, den leichteren Weg wählen, indem sie sich, unter Umgehung tiefer Beziehungen zu ihren Mitmenschen, in die Beziehung zu Gott flüchten.
Manche Vorbehalte von Psychotherapeuten oder auch aus der Psychiatrie gegenüber Spiritualität lassen sich darauf zurückführen, dass Spiritualität und Glauben als billige Weisen verstanden werden, sich den konkreten Schwierigkeiten und Herausforderungen der Wirklichkeit unseres Lebens und unseres Alltags zu entziehen. Sosehr das einer gesunden und dynamischen Spiritualität widerspricht, so ist dennoch nicht zu übersehen, dass eine solche Spiritualität, die dafür herhalten muss, um sich vor der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu drücken, nach wie vor weit verbreitet ist. Du konfrontierst ja eine solche Spiritualität mit einer sogenannten Spiritualität von unten.
ANSELM GRÜN: Ja, Pater Meinrad und ich haben eine Kleinschrift mit dem provozierenden Titel geschrieben: »Spiritualität von unten«. Damit greifen wir auf, was der
heilige Benedikt in seiner Regel mit dem Stufenweg der Demut meint. Wir verstehen darunter, dass Gott nicht nur durch die Worte der Bibel, durch die Predigt oder Heiligenbücher zu uns spricht, sondern sich ganz konkret in unseren Gefühlen und Leidenschaften, in unseren Träumen, in unserem Leib zu Wort meldet. Gott spricht zu uns in unserer Arbeit und in unseren Beziehungen.Wenn wir Gottes
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