Wer Bist Du, Gott
nicht so lieben wie einen Menschen, in den ich mich verliebt habe, bei dem die Liebe einfach hin- und herströmt. So emotional ist die Liebe zu Gott nicht. Ich kann weder die Liebe Gottes so emotional erfahren wie die Liebe eines Freundes oder einer Freundin. Noch kann ich selbst Gott so lieben wie einen Menschen.
Daher ist mir in letzter Zeit das Wort aus dem ersten Johannesbrief so wichtig geworden: »Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm« (1 Joh 4,16). In Gesprächen mit Menschen erlebe ich, wie sich jeder von uns danach sehnt, zu lieben und geliebt zu werden. Aber das Ziel ist nicht, dass ein Mensch uns diese Sehnsucht nach Liebe einfach für immer erfüllt. Denn in jeder noch so starken menschlichen Liebe wird in mir die Sehnsucht nach noch mehr Liebe geweckt. Das Ziel dieser Sehnsucht ist, einfach Liebe zu sein.
Eine Frau erzählte mir, dass sie in der Meditation auf einmal Liebe war. Sie war ganz und gar erfüllt von Liebe. Diese Liebe ist zu allem geströmt: in ihr Zimmer, in ihre Umgebung, zu den Menschen, zu den Tieren. Das war für
sie eine tiefe Erfahrung. Sie hat letztlich erfahren, was Johannes schreibt. Sie war Liebe. In ihr war die Quelle der Liebe. Sie hat in dieser Liebe Gott selbst erfahren.Wenn ich diese Erfahrung mache, dann fällt es mir nicht schwer, Gott oder die Menschen zu lieben. Es strömt dann einfach eine Liebe in mir. Wenn ich mich in diese Liebe hineinspüre, kann ich auch sagen: »Ich liebe Gott.« Meine Liebe strömt dann zu Gott, dem Grund meiner Liebe.
Wir sprechen oft von der Liebe Gottes, aber wir spiegeln sie nicht wider
WUNIBALDMÜLLER: Ganz Liebe werden! Genau das ist es, worum es geht, wenn es wirklich um Gott und den Menschen geht. Wir laufen in die Irre, suchen Gott »weiß Gott wo«, wo wir ihm doch nur allein in der Liebe begegnen. Wir begegnen ihm nicht in der Wahrheit, die - losgelöst von der Liebe - Absolutheitsansprüche erhebt, nicht in der wunderbarsten und ergreifendsten numinosen oder auch mystischen Erfahrung, die meint, ohne Liebe auskommen zu können. Nicht dort, wo man zwar inflationär mit Begriffen wie Gott und Liebe um sich wirft, die Liebe aber nicht spürbar ist und letztlich außen vor bleibt.
Ich kann laut über Gott und seine Liebe sprechen und andere überschütten mit Worten von Gott und seiner Liebe. Doch das alles klingt hohl und leer, wenn ich nicht umfangen bin von Gottes Liebe und selbst liebe. Bin ich dagegen
umfangen von Gottes Liebe und lasse sie tief in meinem Herzen zu, spüre sie dort, dann spreche ich von Gott und seiner Nähe als einer, der von der Erfahrung von Gottes Nähe berührt worden ist.
ANSELMGRÜN: Ja, es ist ein großer Unterschied, wie wir von Gott und von Gottes Liebe sprechen. Ich kann mich an eine Diskussion im Recollectio-Haus erinnern. Da diskutierten Priester darüber, was heute die wichtigste christliche Botschaft für die Menschen sei. Ein Priester hämmerte auf die anderen ein: »Wir müssten den Nächsten lieben.« Das sei die zentrale Botschaft Jesu. Ein anderer Priester erwiderte ihm: »Du hast schon recht. Nur, wenn ich in dein Gesicht schaue, sehe ich nichts von dieser Liebe. Da ist alles nur hart und rechthaberisch.« Wir sprechen oft von der Liebe Gottes, spiegeln sie aber nicht wider.
Pater Meinrad, der ja mit uns im Recollectio-Haus arbeitet, fragt sich bei dem, was ihm die Menschen von ihrem geistlichen Leben erzählen, ob darin das »Jesusgschmäckle« zu spüren sei. Unsere Rede von Gott ist oft rechthaberisch, manchmal vage, manchmal schwärmerisch. Wir sprechen richtig von Gott, wenn der Jesus-Geschmack aus unseren Worten herauszuspüren ist. Jesus-Geschmack bedeutet den Geschmack von Freiheit, von Barmherzigkeit, von Milde, aber auch von Klarheit und Kraft und Eindeutigkeit.
Gottesliebe unter Umgehung von Menschenliebe - das geht nicht
WUNIBALD MÜLLER: Gottesliebe unter Umgehung von Menschenliebe - das geht nicht. Das bleibt die große Herausforderung für alle, die meinen, an ihren Mitmenschen vorbei in die direkte Beziehung zu Gott gelangen zu können. Sehr eindrücklich formuliert das Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Deus caritas est , wenn er sagt: »Wenn ich die Zuwendung zum Nächsten aus meinem Leben ganz weglasse und nur ›fromm‹ sein möchte..., dann verdorrt auch die Gottesbeziehung. Dann ist sie nur noch ›korrekt‹, aber ohne Liebe. Nur meine Bereitschaft, auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht
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