Wer braucht schon Zauberworte? (German Edition)
Stimme. „Erkennst du deine Cousinen noch? Das sind Emma und Lydia.“ Zwei blondgelockte Engel nehmen mich von je einer Seite in die Mangel. Sie sind sehr hübsche Zwillingsschwestern und gleich alt wie ich.
Kaum zu glauben, dass unsere Väter Brüder waren. Onkel Tim ist strohblond und mein Dad hatte kohlrabenschwarzes Haar. Das habe ich von ihm geerbt. Meine schwarzen, großen Locken reichen mir mittlerweile bis zur Hüfte. Die graugrünen Augen bilden dazu einen optimalen Kontrast und stechen förmlich heraus.
„Hallo Cousinchen“, stoßen die Zwillinge synchron aus. Nun tritt wieder das unangenehme Schweigen ein, währenddessen sie auf eine Regung meinerseits warten – und enttäuscht werden.
Tante Claire räuspert sich. „Ach, sie ist schüchtern. Komm erst mal rein. Du musst erschöpft und hungrig sein. Ich habe Eintopf gemacht.“ Eigentlich will ich nur schlafen. Der Flug war echt abartig lang.
Sie stellt mir den Teller vor die Nase und ich werde aus allen Himmelsrichtungen vollgelabert. „Schätzchen bitte rühre im Uhrzeigersinn, das bringt Glück“, ermahnt mich meine Tante, die mir soeben Salz über die Schulter pfeffert. Mann, das gibt’s doch nicht. Schon ab dem zweiten Satz bin ich wieder in Gedanken versunken.
Nach einer Ewigkeit wird ihre Aufmerksamkeit von etwas abgelenkt und sie überschütten irgendein Haustier, das ich nicht sehen kann, mit überschwänglicher Babysprache.
„Ja wo ist er denn. Komm Putzi, leg dich zu mir“, quietscht Emma. „Nein, komm zu mir“, verlangt Lydia.
Das pelzige Etwas hat sich – wie kann es auch anders sein – entschlossen, zu mir zu kommen. Es lehnt sich schnurrend an meine Seite. Eine weiße Katze – wunderbar. Sogleich fängt meine Nase an zu jucken und ich niese gefühlte hundertmal hintereinander.
„Oh, bist du allergisch, Liebes?“, will Tante Claire wissen. Nein, ich hab eine Stauballergie. Was für eine blöde Frage ist das denn? Glücklicherweise verfrachtet sie
Putzi
aus dem Raum, bevor ich einen allergischen Schock erleide.
„Oh, schon so spät“, informiert uns Onkel Tim. „Schlafenszeit“, prustet er. Meine Cousinen hüpfen vergnügt herum, als würden sie sich darauf freuen. Es ist nicht mal zehn Uhr. Wer geht denn so früh schlafen?
„Darf
ich
das Gebet sprechen?“, fragt Emma – immer noch hopsend.
„Nein Emma, diese Ehre gebührt unserem Gast.“ Was? Nein, das könnt ihr vergessen. Mit Gebeten hab ich nichts am Hut.
„Komm, ich zeig dir dein Zimmer“, schlägt Tante Claire vor. Das wurde aber auch Zeit. So viel Hyperaktivität in einem Raum hält niemand aus.
Ich steige hinter Claire die Treppe empor. Wir gelangen zu einem Abschnitt mit ziemlich steilen Stufen, die augenscheinlich unters Dach führen.
„Wir haben den Dachboden leider noch nicht fertig ausgebaut, aber du hast da oben dein eigenes Reich. Das Badezimmer ist allerdings auf dieser Etage.“ Egal. Hauptsache ich muss mir kein Zimmer mit den Barbies teilen. „Du kannst ja schon einmal auspacken und den Pyjama anziehen. Du hast doch nichts Rotes an, oder? Das ist nämlich die Farbe des Teufels.“ Meine Fresse. „In ein paar Minuten treffen wir uns im Zimmer deiner Cousinen zum Beten. Ach und nachher gibt es noch Gruppenkuscheln.“
Was
? Gruppenkuscheln? Das kannst du vergessen.
So schnell ich kann, steige ich die Treppe hoch und schließe die Türe hinter mir. Man kann sie sogar von innen verriegeln. Hab ich ein Glück.
Es ist ziemlich kalt hier oben, aber ich habe jede Menge Platz. Das Bett – eine Matratze – liegt gleich am Fenster. Von hier aus kann man bis zum Wald sehen.
Ich bin bereits wieder in einem Paralleluniversum, das meinem Kopf entsprungen ist, als sie nach mir rufen. Nach ein paar Versuchen, mich doch noch zu der Gruppenaktion zu nötigen, geben sie glücklicherweise auf.
Ich will nicht undankbar erscheinen, sie sind sehr nett, aber mir ist das alles gerade etwas zu viel. Sie stemmen mich mit dem Brecheisen in diese Familie. Eins ist klar – mit achtzehn bin ich weg.
Es ist gerade mal zwei Uhr morgens, da schrecke ich aus einem Alptraum hoch. Genaugenommen ist es der Traum, der mich jede Nacht verfolgt. Meine Decke hat sich im Schlaf verabschiedet. Dementsprechend friere ich.
Ich beschließe, mir ein Glas Wasser aus der Küche zu holen und steige die Treppen zum Wohnraum hinab. Überall glühen beleuchtete Deko-Weihnachtsmänner vor sich hin.
Schon mal was von Stromsparen gehört? Ach egal – so brauche ich
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