Wer fuerchtet sich vor Stephen King
Lebensumstände, bei denen die anscheinend festgefügte Realität erschreckende, aber auch allgemein vertraute Züge gewinnt, und damit für eine weitere tiefsitzende Angst im Leser. Die Angst vor Verlusten, vor dem Verlust der beruflichen Existenz, aber noch stärker vor dem des persönlichen Glücks, der Ehe, des Partners. Der Leser erkennt sich nicht nur in einer, sondern im praktisch allen Hauptpersonen des Romans wieder, da er unterschwellig mit der Angst lebt, dieselben Verluste erleiden zu können, die die Charaktere des Buches erleiden. Damit hat auch dieses Buch Kings zwei Ebenen: die der spannenden Handlung und darunter die der Gefühlswelt, die im Leser einfach Beklemmung auslösen muss. Zwei Familien stehen im Mittelpunkt. Da sind einmal die Cambers mit ihrem zehnjährigen Sohn Brett, Exponenten der amerikanischen Unterschicht, der Vater Alkoholiker, die Mutter ein geprügeltes, unterdrücktes Arbeitstier; mit Gewalt zwingt ihr Mann sie dazu, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Ihr Leben ist die Hölle; schlimmer kann es kaum kommen.
Und da sind Vic und Donna; auch deren Ehe steht auf wackligen Beinen. Nach außen hin geben sie ein ideales Paar ab: gutes Einkommen, eigenes Haus, ein vierjähriger Sohn. Donna wurde sich des Verlusts ihrer Jugend und der Eintönigkeit ihres Lebens bewusst und hat gerade ein Verhältnis beendet. Vic, Teilhaber einer Werbeagentur, steht vor dem beruflichen Ruin.
King kontrastiert mit diesen beiden Familien zwei anscheinend völlig unterschiedliche zwischenmenschliche Beziehungssysteme, die jedoch beide gescheitert sind bzw. kurz vor dem Scheitern stehen. Wendet sich die soziale Schicht, auf die der Roman wahrscheinlich zielt, empört von Joe und Charity Cambers ab, so muss sie irgendwann in den Verfallserscheinungen des bürgerlichen Lebens von Vic und Donna ihre eigene Situation erkennen; nur mühsam können diese beiden das Scheinbild einer funktionierenden Ehe aufrechterhalten, die sie beide ausfüllt. Die zusammengebrochene Fassade wird durch den ständig wiederkehrenden Slogan von Vics Werbeerfindung, dem Fernsehprofessor, symbolisiert: „Nein, hier ist nichts verkehrt.“
Aber tatsächlich ist alles verkehrt; sowohl bei den Cambers als auch bei Vic und Donna. King entblößt den American Way of Life als gut geölte, auch gegen Ende noch funktionierende Maschinerie, die nur die Aufgabe hat, den Schein aufrechtzuerhalten; das Innenleben seiner Protagonisten ist dagegen leer, ausgehöhlt, nichtig, eine Quälerei, die sich ein wenig subtiler äußert als durch die Schläge, die Joe Camber seiner Frau Charity versetzt.
In diese Welt – einmal die der gescheiterten Familie, einmal die der scheinbar noch funktionierenden – bricht Cujo; er ist ein außenstehendes Element, ein nicht beeinflussbares Unheil, gegen das niemand gefeit ist. Durch ihn terrorisiert King seine Charaktere überzeugender, als es mit irgendwelchen Alptraummonstern möglich wäre. Der vollendete Höhepunkt des Romans ist eine mitunter schon sadistische Sequenz, in der Donna und ihr kleiner Sohn gefangen in ihrem Auto sitzen, abseits der Straße vor der billigen Reparaturwerkstatt von Joe Camber, hilflos der Hitze und dem sie belagernden tollwütigen Hund ausgesetzt. Kings Erzählstruktur war selten dichter und konsequenter. Der Leser erlebt kein happy end ; die Rettung in letzter Sekunde bleibt aus. Auch wenn das Monster getötet werden kann, geht für die Überlebenden das Leben nicht in gewohnter Form weiter.
Joe Camber stirbt; durch seinen Tod bekommen Charity und Brett, seine Frau und sein Sohn, die Chance auf einen Neuanfang. War bei King bislang die Familie das letzte intakte Gebilde im Staat, an dem sich das Leben nach der Katharsis wieder aufrichtete, zerstört King hier dieses Konzept.
Mit CUJO hat King die Grenzen des traditionellen Horrorgenres gesprengt und zumindest seine amerikanische Leserschaft – das Bürgertum – verschreckt; der Roman wurde nur zögernd aufgenommen. Dieses Verschrecken der Leser gelingt durch die Konsequenz der Realität; das Konzept der Familie erweist sich nicht mehr als der Wirklichkeit überlegen, übrig bleibt nur eine Leere, die die der abgestumpften, zur Farce gewordenen zwischenmenschlichen Beziehungen bei der breiten Masse in erschreckender Weise verdeutlicht.
Novellen, so schreibt Stephen King im Nachwort zu seinem nächsten Buch, FRÜHLING, SOMMER, HERBST UND TOD (DIFFERENT SEASONS, 1982), lassen sich mit einem schrecklichen Ort
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