Wer fuerchtet sich vor Stephen King
(CARRIE lässt grüßen); dabei hämmert King in seiner klaren, einfühlsamen Syntax die fremde, übersinnliche Welt, der sich weder Danny noch sein Vater entziehen können, in die Wirklichkeit hinein. Der Roman kommt ohne große äußerliche Schockmomente aus; die Spannung entwickelt sich von innen, genau wie der Schrecken, der Horror, wie immer man dieses Gefühl bezeichnen möchte. Eigentlich ist SHINING kein „Meisterwerk der modernen Horrorliteratur“, wie es der Klappentext der amerikanischen Ausgabe vermeldet, sondern ein psychologischer Roman mit übersinnlichen Einflüssen, der von der Beschreibung psychologischer Vorgänge und Entwicklungen lebt. Und dies hebt ihn aus der großen Masse anderer Horror-Romane weit hinaus. King schildert, genau wie Poe, nur in moderner, aktueller Fassung, den einzig wahren Schrecken, den der Mensch erleben kann: den der Seele, ihrer eigenen Zwänge, ihrer Alpträume, ihrer Paranoia, kurz gesagt ihrer „Dämonen“. Sein Buch ist weit mehr als ein Meisterwerk moderner Horrorliteratur: Es ist moderne Literatur, und das ist das höchste Lob, das man einem Horrorroman machen kann.
Mit seinem nächsten Roman, DAS LETZTE GEFECHT (1978), versuchte sich King schon in frühen Jahren an einem Opus magnum , ein wahrhaft ehrgeiziges Unterfangen . Allerdings entspricht es seiner typischen „Lagerfeuermentalität“ – „Kommt und setzt euch zu mir, ich erzähle euch eine Geschichte!“ – und brachte ihm den Vorwurf der Geschwätzigkeit ein, ein Vorwurf, den allerdings nur die Kritik erhob, nie die Leserschaft. Ihr war bereits zu dieser Zeit ein neues Buch von King mit 700 Seiten allemal lieber als eins mit 250 Seiten. Bei 763 engbedruckten Seiten (der deutschen Erstausgabe) wagt der Leser sich nicht unbedingt enthusiastisch an ein neues Buch. Umso überraschter ist er, wenn er nach begonnener Lektüre zum ersten Mal aufblickt, feststellt, dass er Seite 80 bereits erreicht hat, eigentlich kaum etwas geschehen ist, aber dieses Wenige so fesselnd und eindrucksvoll erzählt ist, dass er es kaum erwarten kann, auch noch die restlichen 683 Seiten zu lesen.
Dabei ist die Geschichte nicht unbedingt neu: der Weltuntergang auf Amerikanisch (und zwar recht patriotisch). Ein paar Überlebende finden sich zusammen und versuchen, sich durchzuschlagen. Dabei ist die eigentliche Gefahr noch längst nicht gebannt. Das übersinnlich Böse manifestiert sich in Gestalt von Randall Flagg, dem Dunklen Mann, dem Teufel in Menschengestalt, und das Gute in Gestalt einer einhundertundachtjährigen Farbigen. King kontrastiert hier mehrere dualistische Aspekte – das Leben und die persönlichen Probleme vor und nach der Katastrophe, das Science Fiction-Szenario eines misslungenen Gen/Viren-Experiments und den übersinnlichen Endkampf zwischen Gut und Böse – und verschmilzt sie. Eine Synthese, die eigentlich überhaupt nicht gelingen kann, aber trotzdem funktioniert: Der Roman liest sich durchgehend glatt. Das Gute siegt, der amerikanische Traum kann neu beginnen (nachdem das Übel aus der Welt vertrieben wurde), doch King lässt einen seiner Charaktere fragen, ob die Menschen selbst nach diesem rigorosen Neuanfang je vernünftig werden.
Nicht die Story ist eigentlich so interessant, sondern die Weise, wie sie erzählt wird. Die Personen, die King wie kein zweiter Horrorschriftsteller plastisch und lebendig schildert, machen vor, während und auch nach der Katastrophe glaubwürdige Entwicklungen durch; der Leser zittert mit ihren mit. Dabei greift King immer wieder auf ihre jeweiligen Ängste zurück (und beschränkt sich nicht nur auf ein Thema, das er veräußerlicht): Für jeden Leser ist etwas dabei, der ureigene Alptraum wartet auf der nächsten (oder übernächsten) Seite. Dieser Horror kann metaphysisch, aber auch ganz realistisch sein, und DAS LETZTE GEFECHT weist durchaus realistisch-brutale Szenen auf: „Hinter ihm lag das Skelett der Ratte, die er vor fünf Tagen […] getötet hatte. Der lange rosa Schwanz der Ratte hing noch am Skelett. Lloyd hatte wiederholt versucht, auch den Schwanz zu essen, aber er war zu zäh. […] Gestern Abend war es ihm gelungen, […] einen Kakerlaken zu fangen, und er hatte ihn lebendig gegessen; wie verrückt war er in seinem Mund herumgerannt, bis er ihn halb durchgebissen hatte. Er hatte nicht einmal schlecht geschmeckt, viel besser als die Ratte.“) Solche Szenen sind allerdings meilenweit von der vordergründigen Brutalität billiger Schlitzer-Romane
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