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Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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unerträglich. Einer der bewaffneten Männer, der einen Speer mit einem am Schaft befestigten Stoffbanner trug, drehte sich zu den anderen um und schob sein Visier zurück. Darunter kam ein Gesicht zum Vorschein, das gleichzeitig jung und alt war und unter finsteren Brauen sanfte braune Augen hatte.
    »Nun, da sind wir ja alle wieder beisammen«, sagte er. »Also, was glaubt ihr, wie lange wir da unten gewesen sind?«
    »Keine Ahnung«, antwortete als erster der Mann neben ihm, der in einem gewebten Schwertgurt ein silbernes Horn bei sich trug. »Frag doch den Zauberer. Der wird’s wissen.«
    Der Bannerträger wiederholte seine Frage, an den kleinen gebückten Mann gerichtet, langsam und laut, der durch die Katzenfelle hindurch ein Geräusch wie eine verrostete Türangel von sich gab.
    »Er sagt, so etwa zwölfhundert Jahre«, berichtete der Bannerträger, und niemand schien davon im geringsten überrascht zu sein (ausgenommen natürlich Hildy, und sie war nicht einmal so überrascht, wie sie es erwartet hätte). Der Hornträger ließ den Blick langsam über die umliegenden Hügel schweifen, was in dem schwachen Glühen des Sonnenuntergangs unbeschreiblich majestätisch wirkte.
    »Zwölfhundert Jahre also«, murmelte er nachdenklich. »Nun, wenn das wahr ist, dann hat sich hier aber nichts verändert. Nicht ein bißchen.« Er blickte noch einmal umher und fügte hinzu: »Wirklich schade. Eine erbärmliche Gegend, dieses Caithness.«
    Hildy erinnerte sich plötzlich daran, daß sie früher oder später wieder atmen mußte, weil sie sonst sterben würde – und bevor sie nicht herausgefunden hatte, ob die unglaubliche und dennoch einzig mögliche Erklärung für dieses Spektakel tatsächlich zutraf, wäre ihr vorzeitiges Dahinscheiden um so bedauerlicher gewesen.
    »Entschuldigen Sie bitte«, stammelte sie mit dünner Stimme, »aber sind Sie alle echt?« Die Worte schienen ihr aus dem Mund zu plumpsen wie erschöpfte Lachse, die endgültig vor einem Wasserfall kapitulierten.
    »Gute Frage«, entgegnete der Anführer der Männer. »Und was ist mit Ihnen?«
    Hildy wollte schon sagen, sie sei sich selbst nicht ganz sicher, als ihr wurde plötzlich klar wurde, daß der Mann seine Frage spöttisch gemeint hatte, was sie fast noch weniger als alles andere erwartet hatte. »Ich bin Hildy Frederiksen«, erklärte sie schließlich, wobei ihr durchaus bewußt war, daß diese relativ unbedeutende Tatsache bei all der Größe und Rätselhaftigkeit um sie herum wahrscheinlich nur eine geringe Bedeutung haben konnte. Trotzdem wollte sie es für sich aktenkundig machen, bevor es aus ihrem Gedächtnis gelöscht wurde.
    »Interessant«, sagte der Anführer mit zwar immer noch spöttischem Unterton, doch klang in seiner Stimme nun ein Hauch von Sympathie mit. »Sie hätten mir das aber nicht erzählen dürfen, stimmt’s? Schließlich dürfen Fremde, die sich nachts im Moorland begegnen, ihren Namen oder den Namen ihres Vaters erst dann verraten, wenn sie ihre Herzen durch gerissene Fragen gegenseitig auf die Probe gestellt haben.« Die finstere Miene hinter der starren Maske des Visiers schien sich jetzt ein wenig zu entspannen. »Fragen Sie mich bloß nicht, warum das so ist. So sind nun mal die Regeln.«
    Hildy sagte aber nichts. Die übrigen Männer aus dem Grabhügel starrten sie an, und zum erstenmal hatte sie Angst.
    »Saublöde Regeln, wenn Sie mich fragen«, fuhr der Anführer fort, als könnte er ihre Angst spüren. »Ach, diese ganzen Stunden, die ich damit verschwendet hab, geistreiche Fragen zu stellen, obwohl ich etwas anderes hätte tun können … Heißt dieser Ort eigentlich immer noch Rolfsness?«
    Hildy nickte.
    »Dann erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Ich bin Rolf. Mein Name ist König Hrolf Ketilsson, genannt der Erdenstern, Sohn des Ketil Trout, dem Sohn des Eyjolf Kjartans Fluch, dem Sohn des Schlächters Hrapp von Hedeby, dem Sohn des Gottes Odin. Ich hab in der Erdhöhle geschlafen seit – wie lange hab ich noch mal in der Erdhöhle geschlafen, Jungs?«
    »Zwölfhundert Jahre«, klärte ihn der Hornträger auf.
    »Danke. Seit zwölfhundert Jahren habe ich also auf den Tag gewartet, an dem ich zurückkehren muß, um mein Königreich Caithness vor der Gefahr zu bewahren, vor der größten Gefahr, von der mein Reich und seine Bewohner jemals bedroht wurden oder heute noch werden, entsprechend dem Gelöbnis, das ich vor der großen Schlacht von Melvich ablegte, in der ich die Heerschar von Geirrodsgarth

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