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Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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besiegte und die Macht von Nithspél niederschlug. Das hier sind übrigens meine Gefolgsadligen und Leibwächter.«
    Mit einer weit ausholenden Handbewegung nahm er seinen Helm ab und hielt ihn hoch über den Kopf. Eine prachtvolle kohlrabenschwarze Haarmähne und zwei überraschend blaue Augen kamen zum Vorschein. Hildy spürte, wie ihr die Knie nachgaben, als hätte jemand von hinten dagegengetreten. Sie kniete vor ihm nieder und neigte den Kopf zu Boden. Kaum traute sie sich, wieder hochzuschauen, als sie sah, wie der letzte Strahl der untergehenden Sonne triumphierend auf dem Heft des großen Königsschwerts glitzerte und ein mächtiger Steinadler scheinbar aus dem Nichts vom Himmel herabstieß und sich flügelschlagend auf der behandschuhten Faust des Königs niederließ.

 
     
2. Kapitel
     
    »Kann mir mal endlich jemand diesen dämlichen Vogel vom Hals schaffen?« schimpfte der König.
    Die letzten Sonnenstrahlen verblaßten, während der Bannerträger aufgeregt mit den Händen gestikulierte, um den Adler zu verscheuchen. Der Vogel verlagerte zwar das Gewicht von einer Klaue auf die andere, machte aber keinerlei Anstalten zu verschwinden. Jetzt versuchte der Mann im Bärenfell ihn sanft mit dem Zeigefinger wegzustoßen, aber der Adler hackte einmal kräftig mit dem Schnabel danach, und der Krieger wich fluchend zurück. In einem plötzlichen Anfall von Kühnheit stand Hildy auf und klatschte in die Hände. Sofort schlug der majestätische Vogel mit den Flügeln, wobei er ein Geräusch verursachte, als bräche in einem vollbesetzten Theater tosender Applaus aus, und schwang sich in den Himmel empor. Dort zog er gemächlich drei Kreise und verschwand schließlich am Horizont.
    »Das machen diese Viecher immer«, bemerkte der König und rieb sich kräftig das Handgelenk, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen. »Ich vermute, das liegt wohl daran, daß ich ein König bin.«
    »Ich verhungere allmählich«, stöhnte der Hornträger laut, woraufhin ihn mehrere Stimmen zur Ruhe mahnten. »Ich hab aber wirklich Hunger! Schließlich hab ich seit zwölfhundert Jahren nichts mehr zwischen die Zähne gekriegt.«
    Ein Stimmengewirr brach los, das sich schnell zu einem anhaltenden Crescendo steigerte. »Beachten Sie diese Kerle einfach nicht«, versuchte der König Hildy zu beruhigen. »Manchmal benehmen die sich wie ein Haufen alter Weiber.«
    Während er seinen Helm im Gras ablegte, nahm er Hildys Arm, wobei sie zu ihrem eigenen Erstaunen weder zusammenzuckte noch zurückwich. Ein paar Schritte führte er sie so an seiner Seite und ließ sich schließlich bequem auf einem kleinen Felsblock nieder.
    »Also gut«, begann er und musterte sie mit seinen hellen Augen. »Was ist denn in der Welt so alles passiert, während wir geschlafen haben?«
    Hildy blickte zurück zu den Kriegern, die etwas äußerst Wichtiges zu erörtern schienen. Soweit sie mitbekommen konnte, hatte es hauptsächlich etwas damit zu tun, wessen Aufgabe es eigentlich damals gewesen sei, einen Lebensmittelvorrat anzulegen. Schließlich setzte sie sich neben den König.
    »Das ist aber eine sehr lange Geschichte«, sagte sie.
    »Das liegt wohl in der Natur der Sache, nicht wahr?« entgegnete der König lächelnd. Dieses Lächeln gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, so als stünde sie unter dem Schutz einer gewaltigen, aber vertrauten Macht. Eine Zeitlang saß sie nur schweigend da und sammelte ihre Gedanken. Dann erzählte sie ihm alles.
    Erst als sie mit ihrem kurzen historischen Abriß fertig war, blickte sie wieder auf. Die Männer stritten sich noch immer. Mittlerweile schienen sie die Verantwortung auf den Bannerträger oder den Hornträger beschränkt zu haben, die allerdings beide gleichzeitig und lauthals ihre Unschuld beteuerten.
    »Im wesentlichen war’s das«, schloß Hildy ihren Bericht.
    »Das soll wirklich alles gewesen sein? Zwölfhundert Jahre Geschichte? Sämtliche Errungenschaften der Menschheit? Menschen sterben, Vieh stirbt, nur glorreiche Taten leben für immer weiter?«
    »Ja, das ist alles.«
    Der König zuckte ratlos die Schultern, und zwölfhundert Jahre Geschichte schienen an seinen Armen hinabzugleiten und in der torfhaltigen Erde zu versickern. »Und Sie sind sich sicher, nichts ausgelassen zu haben?«
    Hildy erschauderte leicht. »Doch, eine ganze Menge sogar«, entgegnete sie.
    Der König nickte. »Ja, natürlich. Aber ich meine etwas wirklich Wichtiges.«
    »Und was zum Beispiel?«
    »Ich weiß es selbst nicht,

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