Wer hat Angst vor Jasper Jones?
Finn
sei mein Lieblingsbuch. Faulkners
Schall und Wahn
habe ich angefangen, musste es aber wieder aufgeben. Ehrlich gesagt hatte ich nicht den blassesten Schimmer, um was es eigentlich ging. Und ich weigerte mich, meinen Vater zu fragen. Ich wollte nicht, dass er glaubte, ich hätte nicht genug Grips.
Denn das war im Grund alles, was ich besaß. Corrigan ist eine Stadt, in der Sport die soziale Währung darstellt. Die meisten Kinder suchen und finden ihresgleichen beim Sport. Der Großteil der Einwohner ist bei der Mine beschäftigt und der Rest im Elektrizitätswerk, daher gibt es keine großen Klassenunterschiede. Also haben die Kinder ihre eigene Hierarchie eingeführt, die sich an ihrer Fähigkeit im Umgang mit einem Ball orientiert statt an ihrer Kleidung oder der Marke des Familienwagens. Ich bin ein lausiger Sportler und ein besserer Schüler als die meisten, was mir im Klassenzimmer nichts als Verdruss einbringt und Groll bei der Zeugnisausgabe. Aber wenigstens bin ich ihnen in etwas überlegen, auch wenn es ein einsamer Triumph ist.
Natürlich bedeutet das auch, dass ich mehr oder weniger ignoriert werde. Noch schlimmer ist es für meinen besten und einzigen Freund, Jeffrey Lu, der jünger und kleiner ist als ich und auch klüger, wenn ich ehrlich bin. Jeffrey hat eine Klasse übersprungen und ist mein Hauptkonkurrent auf dem Weg zum Klassenbesten. Abgesehen von Eliza Wishart. Aber keiner von beiden stört mich bei diesem Wettrennen. Am wenigsten Eliza.
Jeffreys Eltern sind Vietnamesen, daher wird er von den Jungen in der Schule rücksichtslos schikaniert und verdroschen. Wahrscheinlich ist er schlimmer dran als Jasper Jones. Trotzdem verschmerzt er alles erstaunlich gut, was mein schlechtes Gewissen besänftigt, weil ich nie genug Mut aufbringe, um dazwischenzugehen. Jeffrey ist nicht aus der Ruhe zu bringen. Er hat eine Art zu lächeln, die niemand ausradieren, vertreiben oder aus ihm herausprügeln kann. Und im Unterschied zu mir lässt er sich nie dazu herab, boshaft oder gehässig zu werden. In gewisser Weise hat er mehr Selbstbewusstsein als diese rachsüchtigen Bastarde mit ihren Pfirsichkernen in der Tasche. Auch wenn ich ihm das nie sagen würde.
Als Jasper Jones stehen bleibt und mich an der Schulter packt, zucke ich zusammen, als hätte mir jemand einen Stromschlag versetzt. Ich schiebe meine Brille zurück und warte. Jasper zwängt sich durch ein Gebüsch und schleust mich hindurch. Wir verlassen den Pfad. Ich zögere.
«Wohin gehen wir? Wofür brauchst du mich?»
«Ist nicht mehr weit, Charlie. Du findest es noch früh genug raus.»
Ich vertraue ihm. Mir bleibt nichts anderes übrig. Ich habe mich zu weit von zu Hause entfernt. Wenn er mich hier und jetzt im Stich lassen würde, fände ich nie allein zurück.
Ich kann den Fluss nicht mehr hören, und das Blätterdach über uns hat das Mondlicht gestohlen. Während wir vorwärtsdrängen, fällt es mir immer schwerer, mir vorzustellen, welche Art von Hilfe Jasper brauchen könnte. Mir ist nicht klar, welche einzigartige Fähigkeit ich zu bieten habe. Wir sind eine merkwürdige Allianz, Jasper und ich. Bis zu diesem Tag haben wir kaum ein Wort miteinander gewechselt. Ich bin überrascht, dass er meinen Namen kennt, ganz zu schweigen von meiner Adresse. Er geht so gut wie nie zur Schule, immer nur lange genug, um sich in die Football-Mannschaft aufnehmen zu lassen. Ich habe ihn immer nur flüchtig aus der Ferne gesehen, daher kann ich mich der Begeisterung darüber, derartig einbezogen zu werden, nicht erwehren. Im Geiste formuliere ich schon meinen Bericht für Jeffrey.
Wir sind jetzt in ziemlich dichtem Buschgelände. Es ist unnatürlich still. Jasper hat immer noch kein Wort von sich gegeben, zu dem ich ihn nicht gedrängt hätte, und seine Antworten waren kurz und schroff. Obwohl es in der Landschaft keine Orientierungspunkte gibt, scheint er den Weg genau zu kennen, und ich bin dankbar dafür. Ich halte mich dicht hinter ihm, wie ein treuer, nicht angeleinter Hund. Meine Anspannung wird immer stärker. Ich frage mich, ob meine Eltern gehört haben, wie ich fortging. Ich bin mir nicht sicher, was sie tun würden, wenn sie mein Zimmer leer vorfänden. Die Laken zerknüllt, das Bett geräumt, die Fensterlamellen aufeinandergestapelt. Sie würden annehmen müssen, ich sei entführt worden. Gekidnappt. Nie im Leben würden sie glauben, dass ich mich aus eigenem Entschluss davongeschlichen hatte. Das ist mit Abstand mein schlimmstes
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