Wer hat Angst vorm bösen Mann?
sie den Auftrag übernehmen wollten. Der Geschäftsmann André Poisson biss an und traf sich mit Lustig. Der Mann schöpfte allerdings Verdacht – und sein Misstrauen legte sich erst, als Lustig eine große Bestechungssumme für die Vermittlung des Deals forderte. Der Schrotthändler zahlte beides, das Schmiergeld und die Kaufsumme von 250 000 Francs, und der schöne Victor verschwand damit. Aus Verlegenheit zeigte Poisson den Hochstapler nicht an. Erst als Lustig den Trick ein zweites Mal anwandte, suchte ihn die Polizei. Er aber konnte in die USA fliehen.
Lustig wurde achtundvierzigmal verhaftet, aber meistens entging er einer Verurteilung, weil die Opfer aus Scham nicht gegen ihn aussagen wollten.
Fast alle Hochstapler erreichen in ihrem Leben aber einen Punkt, an dem sie sich überschätzen. Sein Erfolg hatte ihn übermütig werden lassen. Vorher hatte er sich bei seinen genialen Betrügereien erfolgreich durchmogeln können. Bei Al Capone hatte er sich allerdings übernommen. Als er nach sechzig Tagen zu ihm zitiert wurde, ließ er den Kopf hängen und gestand, dass der Plan nicht geklappt habe. Al Capone tobte und ging davon aus, dass sein Geld verloren war. An dieser Stelle zog Lustig unerwartet das Paket mit 50 000 Greenbacks aus der Tasche und gab sie dem Mafiapaten zurück. Der beruhigte sich wieder, hatte Mitleid mit Lustig, weil er dachte, dass der arme Kerl an einem beruflichen Tiefpunkt angelangt war, und schenkte ihm 1000 Dollar, damit er wieder auf seine Füße kommen könne.
Aufgrund eines anonymen Telefonanrufs wurde Lustig eines Tages verhaftet – seine Freundin hatte ihn aus Eifersucht verpfiffen. Er wurde zu zwanzig Jahren in Alcatraz verurteilt und starb dort 1947 an einer Lungenentzündung.
Bekenntnisse eines Hochstaplers
Bei den meisten Hochstaplern kann man eine Sonderform der narzisstischen Persönlichkeitsstörung diagnostizieren, die auch «Pseudologia phantastica» genannt wird. Das Lebensmotto vieler Narzissten, «Mehr scheinen als sein», treiben die «Pseudologen» auf die Spitze. Der unwiderstehliche Drang, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bringt sie immer wieder dazu, willfährige Opfer zu belügen und zu betrügen, mit dem Ziel, die eigene Person zu erhöhen. Sie denken sich phantastische Geschichten aus, in denen sie die Hauptrolle spielen. Ihre Erzählungen sind gekonnt ausgeschmückt, und ihre Auftritte wirken überzeugend, mitreißend und oft unterhaltsam.
Aber irgendwann bricht ihr Lügengebäude wie ein Kartenhaus zusammen. Eine meiner Patientinnen, Silke K., eine arbeitssuchende Altenpflegerin, versprach allen ihren Freundinnen, sie könne ihnen einen Job besorgen. Sie versorgte sie mit ausführlichen Arbeitsplatzbeschreibungen, Gehaltsangaben und detailliertesten Anweisungen, an wen sie sich wenden sollten, um die Stelle zu bekommen. Anderen versicherte sie, dass sie ihnen eine preiswerte Wohnung besorgen oder die Vermittlung eines günstigen Gebrauchtfahrzeugs ermöglichen könne. Ihre Bekannten sprachen dann tatsächlich bei den angeblichen Arbeitgebern vor und mussten entsetzt erfahren, dass dort niemand etwas von einem Job wusste. Das Billigappartement existierte nicht, und das Auto war alles andere als ein Schnäppchen. Eine Seifenblase platzte nach der anderen. Zur Rede gestellt, sah Silke K. keinen Ausweg, als sich die Pulsadern aufzuschneiden, was sie zum Glück überlebte.
Aber oft kommen Hochstapler mit ihren Geschichten durch. Sie verkaufen erfundene Schiffsanteile, nichtexistierende Feriendomizile oder betrügerische Investmentfonds, die astronomische Gewinne verheißen. Sie versprechen mehreren Frauen gleichzeitig die Ehe, um sich deren Vermögen zu erschleichen.
Einen Patienten unserer Klinik, Kurt P., störte die detaillierte Auflistung seiner früheren Betrugsversuche in seiner Krankenakte in einer psychiatrischen Klinik. Er suchte den Direktor der Klinik auf und gab sich als der Sozialarbeiter aus, der Kurt P. betreuen solle, natürlich müsse er dafür einen Einblick in dessen Krankenakte haben. Der Chef fand ihn sympathisch und überaus engagiert und gab ihm bereitwillig die geforderte Akte, sodass Kurt P. alle unvorteilhaften Einträge schreddern konnte.
Einige pseudologische Patienten, die ich behandelte, waren leicht minderbegabt. Bei ihnen diente die Pseudologie der Aufwertung ihrer als unvollkommen empfundenen Person. Es war erstaunlich, wie diese Menschen ihre Defizite durch geschicktes Auftreten ausgleichen und ihre zum
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