Wer hat Angst vorm bösen Mann?
unwahrscheinlich, dass er sich einredete, als aktiver Sterbehelfer eine gute Tat getan zu haben. War es einzig der Lustgewinn, der mit der Durchführung dieser scheinbar perfekten Verbrechen verbunden war? Holte er sich seine Kicks dadurch, dass er den Allmächtigen spielte?
Was ist im Leben des Stephan L. falsch gelaufen? Seine Eltern ließen sich scheiden, als er dreieinhalb Jahre alt war. Mit seinem Stiefvater kam er nicht zurecht. Er wurde bereits als Kind wegen Wutanfällen vier Jahre lang von einer psychoanalytischen Kindertherapeutin behandelt. Er hatte andere Kinder und Erzieherinnen tätlich angegriffen.
Ein merkwürdiger Umstand in seinem Lebenslauf fällt besonders auf: Während seine Mutter mit Stephan schwanger war, ließ sie unnötigerweise dreizehn Fruchtwasserspiegelungen durchführen. Mit dieser nicht ganz risikolosen Untersuchung können eventuelle Krankheiten oder Behinderungen des Kindes erkannt werden. Seine Kindheit und Jugend verbrachte der Junge mit ärztlichen Untersuchungen, obwohl er völlig gesund war. Seine Mutter schleppte ihn über Hunderte von Kilometern von einer Praxis zur nächsten. Sie gab ihm wahllos Tabletten, die er nicht benötigte. Sie wollte sogar beweisen, dass er einen frühkindlichen Hirnschaden habe und ein Spastiker sei. Sie schaffte es sogar, ihn in einer Schule für geistig Behinderte unterzubringen – obwohl man bei ihm später einen überdurchschnittlichen Intelligenzquotienten von 121 feststellte.
War es die übertriebene Gesundheitsfürsorge seiner Mutter, die mit ständigen Qualen für das Kind verbunden war, die dazu beitrug, dass er zu einem der schlimmsten Serienmörder in Deutschland wurde? Vielleicht finden wir die Antwort, wenn wir uns mit einem der merkwürdigsten Krankheitsbilder beschäftigen, das die Psychiatrie zu bieten hat.
Die tapferste Mutter Englands
Welch ein trauriges Schicksal: Der sechsjährige Sean [13] war das kränkste Kind in ganz England – so wurde er in den Zeitungen beschrieben. Er litt an zerebraler Kinderlähmung und war auf einen Rollstuhl angewiesen. Zusätzlich hatte er eine Mukoviszidose, eine schwere Krankheit mit fortschreitender Zerstörung der Lungenfunktion. Daher musste er ständig mit Sauerstoff beatmet werden, wozu Stahlflaschen an seinem Rollstuhl angebracht waren. Als weitere Folge dieser schweren Erkrankung wurde Sean zuckerkrank. Außerdem machte ihm ein Milzleiden zu schaffen. Er war zudem allergisch gegen zahlreiche Nahrungsmittel. Wegen Schluckstörungen konnte er keine feste Nahrung zu sich nehmen, sondern wurde durch eine Sonde, die durch die Bauchhaut in den Magen führte, mit Spezialdiäten ernährt. Es kam zu häufigen Entzündungen am Magensondeneingang. Wegen einer Überempfindlichkeit gegen Licht musste der Junge eine dunkle Sonnenbrille tragen.
Aber Seans Mutter, die fünfunddreißigjährige Lisa Hayden-Johnson, gab niemals auf. Dank ihrer Ausbildung als Krankenschwester war es ihr möglich, ihr Kind, das zu Hause in einem Spezialbett lag, aufopfernd zu pflegen. Sie kämpfte hartnäckig dafür, dass die Zugangswege in der Schule ihres Sohnes für über 10 000 britische Pfund behindertengerecht umgebaut wurden.
Sie ging mit Sean 325 -mal zu Ärzten. Neunmal wurde der Junge operiert. Er war jedes Jahr wochen- oder monatelang im Krankenhaus. Nicht immer wurde Sean richtig behandelt. Mehrfach musste Lisa Hayden-Johnson Kunstfehlerprozesse führen. Aber sie verlor nie ihren Mut. «Wenn ich ihn ansehe», sagte die tapfere Mutter, «ist er für mich kein krankes Kind. Ich sehe nur sein freches Lachen und seine großen Hundeaugen.» [253]
Sie tat alles für ihren Sohn, um die enormen Kosten aufzubringen, die seine zahlreichen Krankheiten mit sich brachten. Lisa und Sean sahen den damaligen Premierminister Tony Blair zum Frühstück in der Downing Street, um den «Children of Courage Award» entgegenzunehmen. Sie trafen Mitglieder der königlichen Familie und den Starmoderator Simon Cowell von der Casting-Show
The X Factor
. Camilla Parker Bowles, heute die Ehefrau von Prince Charles, betete für das Kind bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Westminster Abbey. Lisa Hayden-Johnson gab zahlreichen Zeitungen Interviews und trat in Fernsehshows auf, um Spenden zu sammeln. Wer eine verzweifelte Mutter erwartete, die unter den Sorgen um ihr sterbenskrankes Kind zusammenbricht, sah sich getäuscht. Lisa war eine außerordentlich starke Frau, die das Schicksal ihrer Familie mit viel Humor,
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