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Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Titel: Wer hat Angst vorm bösen Mann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Borwin Bandelow
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Herausforderung. Ich will ja unangreifbar leben. Auch will ich mit diesem Stress nichts mehr zu tun haben.»
     
    Ich frage mich abermals, warum so ein gewandter, intelligenter, kontrollierter, charmanter und eloquenter Mensch nicht den «normalen» Weg gegangen ist, den ein Arzt gehen muss – Abitur, Studium, Facharztausbildung. Er könnte heute vielleicht wirklich Chefarzt sein. Wir Psychiater würden ihn womöglich als einen unseren besten Kollegen schätzen. Und wäre er gleich Schriftsteller geworden, hätte er sich mit seinem lockeren, klugen und humorvoll-sarkastischen Schreibstil sicher einen Namen gemacht.
    Wahrscheinlich ging es Gert Postel um etwas Größeres, um etwas Wichtigeres als eine angepasste Karriere als Jurist oder Mediziner. Um Macht und die Demonstration von Überlegenheit. Nicht das Erwerben von Titeln und Urkunden ist das Ziel, sondern der Beleg, dass man für lau Diplome bekommt, für die andere, Dümmere, lange schuften müssen. Dass man nicht nur genauso schlau ist wie die Richter oder die Chefärzte, sondern in einer noch höheren Liga spielt. Wenn Postel dabei abgeklärte Psychiater täuschte, gewiefte Staatsanwälte düpierte, gutgläubige Theologen verprellte und vielleicht lebenserfahrene Frauen ausnutzte, siegte die grandiose Überlegenheitsillusion über Gefühle wie Reue und Scham. Die höchste Stimulation seines Belohnungssystems, den ultimativen Kick, erlangte er offensichtlich durch die Beweisführung, dass er die Arztjobs «mit links» machen konnte. Dann noch in der Presse und im Fernsehen als der grandioseste Hochstapler aller Zeiten gefeiert zu werden – witziger als Eulenspiegel, raffinierter als Dagobert Duck und verführerischer als Felix Krull – war für ihn zehnmal wichtiger als die 10 000  Mark, die er für seine Tätigkeit als Oberarzt bekam.
    Natürlich gibt es Menschen, die in Postel nicht den Spaßvogel sehen, sondern einen Selbstverliebten, der andere Menschen auf hinterlistige Weise täuschte und beschämte, um seine Machtbedürfnisse zu befriedigen. Aber er passt nicht in die Reihe der bösartigen, verbrecherischen Manipulatoren. Vielleicht haben wir Gert Postel viel zu verdanken: Er führte uns vor, wie leicht wir uns täuschen lassen. Sein Fall kann ein Lehrstück sein, das uns wachsamer macht.
    Nachdenklich fahre ich nach Hause. Hat er wirklich eine narzisstische Störung? Er erfüllt so gar nicht die Klischees, die Psychiater mit Narzissten in Verbindung bringen. Er strahlt vor allem eins aus: Vertrauen, Sicherheit, Besonnenheit und Sympathie. Er ist niemand, der einen einfach übers Ohr hauen würde. Er ist jemand, bei dem man sich bedenkenlos in ärztliche Behandlung begeben würde. Ich frage mich: Bin ich einem gerissenen Verführer auf den Leim gegangen?

Der freie Wille
    Der nekrophile Serienmörder Jeffrey Dahmer, der todbringende Sektenführer Jim Jones, der selbstverliebte Terrorist Andreas Baader, der teuflische Vergewaltiger Phillip Garrido und menschenverachtende Diktatoren wie Adolf Hitler oder Josef Stalin – zwischen allen diesen Personen ist ein geheimnisvolles Band geknüpft. Bei allen handelt es sich um Menschen, die es mit anderen nicht wirklich gut meinten. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie, obwohl sie schlecht, erbärmlich, egoistisch, gefährlich, niederträchtig, hassenswert oder abscheulich waren, die Fähigkeit hatten, andere Menschen in ihren Bann zu ziehen, sie auszunutzen und sie Dinge tun zu lassen, die sie nicht tun wollten und die ihnen letztlich schadeten. Wir fallen in großer Naivität auf ihre Tricks herein, verehren sie mit aufopfernder Liebe, Begeisterung, Ekstase, Idealismus und sind willfährige Opfer ihrer Willenslenkung. Wir lassen uns durch Satans sympathische Seiten verführen.
    Der Mensch ist ein Herdentier, das sagt man nicht ohne Grund. In jedem Gehirn ist ein natürlicher Mechanismus eingebaut, der uns unter bestimmten Voraussetzungen blind einem Leithammel folgen lässt. Müssen wir uns deswegen damit abfinden, dass in regelmäßigen Abständen Diktatoren oder religiöse Fanatiker unsere Gehirne als Geiseln nehmen und von uns die große Bühne bekommen?
    Hat der Mensch einen freien Willen? Manche Philosophen würden dies uneingeschränkt bejahen. Hirnforscher wären da skeptischer: Nur in seltenen Fällen ist das Gehirn in der Lage, auf dem Niveau eines nagelneuen Computers mit frisch erneuertem Betriebssystem, unbeeinflusst von Emotionen, vernunftgesteuert und mathematisch exakt auf der höchsten

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