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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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so deutlich zu sehen.«
    Diese langsame Art, sich einem Gesicht zu nähern, ließ den Mann viel deutlicher werden. Der Zeichner wußte, was er tat. Sejer starrte fasziniert auf das Papier und sah eine Gestalt daraus hervorwachsen, langsam, wie ein Negativ beim Entwickeln.
    »Und nun die Haare.«
    Riste zeichnete sehr blaß, damit jederzeit neue Striche über oder neben die alten gezogen werden konnten. Er benutzte keinen Radiergummi. Auch die vielen dünnen Striche trugen dazu bei, die Gestalt lebendig zu machen.
    »Lockig und dicht, fast ein bißchen afrikanisch. Sehr kurz geschoren allerdings. Wie bei mir.«
    Er fuhr sich über den Schopf, der stachlig und kurz war wie eine Bürste.
    »Farbe?«
    »Blond. Möglicherweise hellblond, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Du weißt schon, ein gewisses Blond sieht manchmal sehr hell aus, wirkt aber wie dunkelblond, wenn es naß wird. Das hängt vom Licht ab. Ich weiß es nicht so recht. So ungefähr deine Haarfarbe vielleicht.«
    »Meine Haarfarbe?« Der Ritzewicht schaute auf. »Ich hab doch gar keine Haare.«
    »Nein, ich meine die, die du mal hattest.«
    »Woher weißt du denn, was ich für eine Haarfarbe hatte?«
    Sejer war unsicher. Er wußte nicht, ob er sein Gegenüber beleidigt und sich blamiert hatte.
    »Das weiß ich natürlich nicht«, sagte er. »War nur so geraten.«
    »Du hast richtig geraten. Meine Haare sind, ich meine, sie waren fast hellblond. Gut getippt. Sehr guter Beobachter.«
    »Das Bild sieht ihm schon ziemlich ähnlich.«
    »Jetzt kommen wir zu den Augen.«
    »Das ist nicht so leicht. Ich habe sie nicht gesehen. Er starrte doch nach unten, und in der Bank hat er mir den Rücken gekehrt.«
    »Schade. Aber die Kassiererin hat sie gesehen, und die ist nach dir an der Reihe.«
    »Das ist mehr als schade, es ist eine Katastrophe, daß ich nicht gewartet habe. Eigentlich bin ich alt genug, ich sollte meine Intuition ernst nehmen.«
    »Na ja, man kann eben nicht alles schaffen. Die Nase?«
    »Sehr kurz und ziemlich breit. Auch ein bißchen afrikanisch, wenn man das so sagen kann.«
    »Der Mund?«
    »Kleiner Schmollmund.«
    »Die Augenbrauen?«
    »Dunkler als die Haare. Gerade. Breit. Fast zusammengewachsen.«
    »Die Wangenknochen?«
    »Kaum zu sehen. Zu fleischiges Gesicht.«
    »Irgendwelche besonderen Kennzeichen?«
    »Gar keine. Klare, glatte Haut. Kein sichtbarer Bartwuchs. Kein Schatten auf der Oberlippe. Frisch rasiert.«
    »Oder schlecht ausgerüstet. Irgendwas Besonderes an seiner Kleidung?«
    »Nicht, daß ich wüßte. Aber sie ist mir trotzdem aufgefallen.«
    »Inwiefern?«
    »Sie paßte irgendwie nicht zu ihm. Als würde er sich normalerweise nicht so anziehen. Es sah altmodisch aus.«
    »Wahrscheinlich hat er sich längst umgezogen. Schuhe?«
    »Braune Schnürschuhe.«
    »Und die Hände?«
    »Die habe ich nicht gesehen. Wenn sie zum übrigen Körper passen, dann sind sie kurz und rund.«
    »Und das Alter, Konrad?«
    »Zwischen neunzehn und vierundzwanzig.«
    Er mußte noch einmal die Augen schließen, um den Zeichner auszusperren.
    »Größe?«
    »Um einiges kleiner als ich.«
    »Alle sind kleiner als du«, sagte der Ritzewicht trocken.
    »Vielleicht eins siebzig.«
    »Gewicht?«
    »Er war kräftig gebaut. Über achtzig Kilo, schätze ich. Du hast mich nicht nach den Ohren gefragt«, fügte Sejer hinzu.
    »Wie waren die Ohren?«
    »Klein und wohlgeformt. Runde Ohrläppchen. Keine Ringe oder Stecker.«
    Sejer ließ sich im Sessel zurücksinken und lächelte zufrieden. »Jetzt müssen wir wohl nur noch feststellen, welche Partei er wählt.«
    Der Zeichner schmunzelte. »Was tippst du?«
    »Wahrscheinlich wählt er überhaupt nicht.«
    »Wie gut hast du die Geisel gesehen?«
    »So gut wie gar nicht. Sie hatte mir den Rücken gekehrt. Da mußt du die Kassiererin fragen«, sagte Sejer nachdenklich. »Hoffen wir, daß die nicht allzu empfindlich ist.«

GURVIN HATTE DEN HAUPTKOMMISSAR ERWARTET. Aber wegen eines bewaffneten Raubüberfalls, der am frühen Morgen in der Innenstadt passiert war, kam nur ein einzelner Beamter, um den Bericht abzuholen.
    Jacob Skarre sah mit seinen hellen Locken und seinem feingeschnittenen Gesicht aus wie ein halbwüchsiger
    Chorknabe. Die Uniform stand ihm gut, sie saß wie angegossen an seiner schlanken Gestalt. Gurvin selbst fühlte sich immer unwohl in dieser Kleidung. Vielleicht lag es an seiner Figur. Auf jeden Fall wollte die Uniform sich nicht seinem Körper anpassen.
    Die zufriedene Miene des jungen Mannes

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