Wer hat Angst vorm boesen Wolf
gewesen, auch das konnte die Haare ein wenig heller wirken lassen. Aber er hatte einen kleinen Mund gehabt, da war Sejer sicher. Leicht gebräunte Haut, vielleicht mit einem Stich ins Rote. Und er konnte sich an die Kleider erinnern. Der Mann war sehr muskulös gewesen, bestimmt ziemlich durchtrainiert. Nicht so groß wie er selbst, eigentlich für einen Mann überhaupt nicht groß.
Sejer starrte den Zeichner an. Ursprünglich hatte der bei einer Zeitung gearbeitet, war nur durch Zufall bei der Polizei gelandet und hatte sich hier als überaus geeignet für seine Aufgabe erwiesen, nicht zuletzt psychologisch gesehen.
»Als erstes mußt du mir helfen, lockerer zu werden.« Sejer lächelte. »Du mußt erst mal Vertrauen aufbauen, nicht wahr? Zeigen, daß du mir zuhörst und mir glaubst.«
Der Zeichner verzog den Mund zu einem säuerlichen Lächeln. »Du darfst nicht solche Angst davor haben, die Kontrolle zu verlieren, Konrad«, sagte er trocken. »Im Moment bist du nicht der Chef. Du bist ein Zeuge.«
Sejer hob eine Hand und gab sich geschlagen.
»Als erstes«, sagte der Zeichner, »solltest du das Gesicht dieses Mannes vergessen.«
Sejer blickte ihn verwundert an.
»Vergiß die Einzelheiten. Schließ die Augen. Stell dir seine Gestalt vor und konzentrier dich auf den Eindruck, den du von ihm hattest. Welche Signale hat gerade diese Gestalt ausgesandt? Er kam in einer ziemlich geschäftigen Straße auf dich zu, und aus irgendeinem Grund ist er dir aufgefallen. Was war dieser Grund?«
»Er kam mir so verbissen vor. Erfüllt von irgend etwas.«
Sejer schloß gehorsam die Augen und stellte sich den Mann vor. Das Gesicht war jetzt nur ein heller, verschwommener Fleck in seiner Erinnerung. »Seine Schritte waren hart und eilig. Er hatte die Schultern hochgezogen. Es war so eine Mischung aus Angst und Zielstrebigkeit. Die Panik schien gleich unter der Oberfläche zu lauern. Er hatte solche Angst, daß er nicht für eine Sekunde wagte, jemanden anzusehen. Er wirkte nicht direkt wie ein professioneller Bankräuber. Er war zu verzweifelt.«
Der Zeichner nickte und machte unten auf seinem Blatt eine Notiz.
»Versuch, seinen Körper zu beschreiben, wie hat der sich beim Gehen bewegt?«
»Nur wenig. Kurze, knappe Bewegungen. Kein Armeschwenken, kein Watscheln oder Hinken. Geradeaus. Mit geraden Beinen. Steife Schultern.«
»Denk an die Proportionen«, befahl der Zeichner. »Arme und Beine im Verhältnis zum Rumpf. Kopfgröße. Halslänge. Fußgröße.«
»Keine langen Beine oder Arme. Eher ein wenig kurz geraten. Er hatte zwar eine Hand in der Umhängetasche und die andere in der Hosentasche, aber ich glaube doch, daß es so war. Kurzer, dicker Hals. Keine großen Füße. Kleiner als meine, ich habe Schuhgröße vierundvierzig. Er trug lockere Kleider, aber sein
Körper kam mir ziemlich muskulös vor.«
Noch ein Nicken. Endlich berührte der Bleistift das Blatt, Sejer hörte das leichte Zusammentreffen von Graphit und Papier. Der Strich war von zitternder Lebhaftigkeit, wie etwas, das sich bewegt.
»Die Schultern? Breit oder schmal?«
»Breit. Rund. Wie man sie vom Gewichtheben bekommt. Anders als meine«, fügte er hinzu.
»Ach, die sind doch breit genug.«
»Aber nicht so voluminös. Eher flach und knochig, wenn du verstehst, was ich meine.«
Sie lachten kurz. Der Zeichner, der Riste hieß, allgemein aber Ritzewicht genannt wurde, war klein und rund und kahl, er trug eine schmale, ovale Brille und hatte lange, dünne Finger.
»Der Kopf?«
»Groß. Rund. Volle Wangen, wenn auch nicht gerade Apfelbäckchen. Rundes Kinn. Kein eckiges oder energisches. Kein Grübchen oder so.«
»Wie saß der Kopf auf dem Rumpf? Falls du verstehst, wie ich das meine.«
»Tief zwischen den Schultern. Er hing irgendwie vor dem Rumpf. Wie bei einem schmollenden Kind.«
»Hervorragend«, sagte Riste. »Das ist wichtig. Der Haaransatz?«
»Ist der auch wichtig?«
»Ja, ist er. Der Haaransatz prägt das Gesicht erheblich. Sieh dich doch an. Du hast einen fast perfekten Haaransatz. Gleichmäßig und gerade über der Stirn, an den Schläfen schön geschwungen. Und überall gleichermaßen dicht. Ziemlich selten.«
»Ach, wirklich?«
Sejer schüttelte den Kopf. Er war nicht besonders eitel, jetzt jedenfalls nicht mehr, und das letzte, worüber er sich den Kopf zerbrechen mochte, war sein Haaransatz. Er überlegte.
»Geschwungen, nicht gerade. Vielleicht vorn in der Mitte eine kleine Spitze. Er hatte kurze Haare, deshalb war das
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