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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Aber das diesem durchgeknallten Trottel erzählen? Nie im Leben.
    »Dann eben nicht«, sagte Morgan resigniert. Er schaute Errki an: »Bist du ein Genie? Ein funkensprühender, brillanter Kopf?
    Das soll kein Witz sein, ich kann mir durchaus vorstellen, daß du ziemlich gescheit bist, auch wenn du nicht so aussiehst.«
    Errki schwieg. Dieser Mann war nicht nur ein Narr, er war ganz einfach ein Jammerlappen.
    Morgan seufzte. Er war erschöpft. Der andere wollte nicht sprechen. Er selbst konnte den Klang seiner Stimme nicht mehr ertragen, und außerdem redeten sie ja doch nur Unsinn. Und schlafen konnte er auch nicht. Er konnte nicht mehr Whisky trinken. Er war so was nicht gewohnt - mit einem zusammenzusitzen, der keine Antworten gab. Das machte ihn nervös.
    »Was hast du mit dem Geld vor?« fragte Errki plötzlich mit auserlesener Freundlichkeit.
    »Mit dem Geld?«
    »Dem Geld von dem Banküberfall. Willst du dir ein Nintendo kaufen? Alle Jungen wünschen sich ein Nintendo.«
    Morgan sprang auf und ging zum Fenster. Dort blieb er stehen und starrte zum See. Der war blank wie Glas und hatte eine satte rotbraune Farbe, wie Erz. Er sah die nackte Felseninsel und die verdorrte Kiefer, die sich darüber neigte. Bald kamen wieder Nachrichten. Und dann dachte er an das Auto, wann würde das wohl entdeckt werden? Denn dann wußten die anderen, daß sie in den Wald gegangen waren.
    »Ich muß pissen«, sagte er und durchquerte das Zimmer. Den Revolver nahm er mit. »Du bleibst hier. Ich stelle mich auf die Treppe.«
    Er ging nach draußen und atmete die warme Luft. Es war die heißeste Zeit des Tages. Er sehnte sich nach einer Dunkelheit, die nicht kommen würde. Oder erst im Herbst. Alles nur Nervkram, dachte er mißmutig.
    Errki erhob sich vom Sofa, setzte sich auf den Boden und lehnte sich an die Wand. Er hörte, wie der Strahl das trockene Gras traf, und ein leises Klicken, als Morgan seinen Reißverschluß wieder hochzog. Der Whisky wärmte seinen Leib behaglich. Er wollte mehr davon. Morgan trat wieder ins Haus. Er konnte Morgan um Whisky bitten, aber das verstieße gegen ein geheiligtes Prinzip. Um etwas zu bitten. Nein, das war unvorstellbar. Und jetzt kam Morgan, mit trotzigen Schritten. Stieg über die Tasche hinweg. Kehrte Errki den Rücken zu und machte sich am Radio zu schaffen. Richtete die Antenne anders aus. Errki betrachtete Morgans Unterhemd und dann seine muskulösen Waden. Was es wohl für ein Gefühl war, ein Mann zu sein, mit allem, was zu einem Mann gehört, und doch so unharmonisch auszusehen, so, als sei er willkürlich aus nicht zueinander passenden Einzelteilen zusammengesetzt? Es war still. Errki wollte eine Bitte äußern. Er wußte nicht mehr, wann er zuletzt um etwas gebeten hatte, es mußte Jahre her sein. Er hatte das Gefühl, daß die Wörter sich zusammenballten und zu einem Klumpen wurden, den er nicht heraufholen konnte.
    Also starrte er die Tasche an. Er konzentrierte seine ganze Kraft auf das eine Auge und spürte seinen eigenen Blick wie einen Strahl, der durch das Zimmer schoß. Er traf den schwarzen Leinenstoff der Tasche, und schon bald stieg von dort eine dünne Rauchsäule auf. Und dann nahm er einen schwachen Brandgeruch wahr. Morgan fuhr herum. Im Keller war ein leises Rummeln zu hören, so als hätten große Steinmassen sich gelöst und stürzten zu Tal. Das Rummeln wurde immer lauter, es hörte sich an wie Donner. Nestor flammte auf. Gleich darauf sah Errki etwas durch den schmutzigen Bretterboden wachsen. Einen Fluß aus Blut. Er starrte ihn an, der Fluß strömte nur wenige Zentimeter an seinem Fuß vorbei. Die Tasche stand am anderen Ufer.
    »Was ist los mit dir?« fragte Morgan unsicher. »Geht’s dir nicht gut?«
    Errki fixierte weiter die Tasche.
    »Ich finde, du solltest noch einen Whisky trinken. Vielleicht hilft das ja.« Seine Stimme klang ängstlich.
    Errki blieb sitzen. Er starrte auf das Blut.
    »Trink schon, hab ich gesagt.«
    Aber Errki rührte sich nicht. Er konnte die Tasche nicht mit der Hand erreichen, also würde er einen Schritt machen müssen. Und dabei würden seine Füße im heißen, klebrigen Blut ausrutschen.
    »Verdammt, du machst wirklich aus allem ein Drama! Soll ich dir vielleicht noch ein Lätzchen vorbinden und dich auf den Arm nehmen?«
    Morgan riß die Tasche hoch, nahm die Flasche heraus und hielt sie Errki hin. Errki schnappte sie sich und trank. Die Tasche hörte auf zu brennen.
    Da hast du Glück gehabt. Beim nächsten Mal darfst du nicht

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