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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Etikett und drehte die Flasche langsam um. Dann roch er daran.
    »Na los, das ist doch kein Gift!«
    Errki setzte die Flasche an und trank. Keine Träne trat ihm in die Augen, als der Whisky durch seine Kehle floß.
    Eine plötzliche Wärme breitete sich in seinem Zwerchfell aus. Begann als Brennen am Gaumen, sank langsam nach unten, füllte schließlich den ganzen Magenbereich. Und dann stellte sich allmählich der süßliche Geschmack ein, fast wie Konfekt.
    »Gut, was?« Morgan lächelte. »Wo wohnst du eigentlich? Du hast doch sicher eine Wohnung?«
    Unten am Meer, dachte Errki. Unten im Naherholungsgebiet, schön gelegen und von der Gemeinde bezahlt. Ein Zimmer, Küche und Bad. Über mir wohnt der alte Mann, der nachts immer hin und her läuft und der manchmal weint. Das höre ich, aber es ist mir egal. Wenn ich ihm die Hand reiche und ihm zuhöre, vermittle ich ihm Hoffnung, und es gibt keine Hoffnung. Für niemanden.
    »Warum muß das so verdammt geheim sein?« fragte Morgan. Und griff zur Flasche.
    »Weil es da stinkt«, sagte Errki leise.
    Beim Klang dieser Stimme fuhr Morgan zusammen. »Es stinkt? Deine Wohnung? Das glaub ich gern. Du stinkst schließlich auch. Es wäre vielleicht an der Zeit, daß du mal an die frische Luft kommst.«
    »Rohes Fleisch riecht schrecklich. Vor allem bei dieser Hitze.«
    »Was faselst du da?«
    »Es liegt auf dem Küchentisch. Ich esse es immer zum Frühstück.«
    Das sagte er mit tiefernstem Gesicht. Morgan starrte ihn mißtrauisch an. »Redest du jetzt Scheiß, oder hast du Halluzinationen? Du redest Scheiß, was? Ich glaub ja gern, daß du verrückt bist, aber ich glaub nicht, daß du zum Frühstück rohes Fleisch frißt.«
    Ihm lief, trotz der Hitze, ganz langsam ein Schauer kalten Unbehagens über den Rücken. Was war das nur für ein Mensch, mit dem er es hier zu tun hatte?
    »Nimm doch noch einen Schluck Whisky. Vielleicht ist es ja nicht gut, daß du deine Medikamente nicht schlucken kannst. Aber wenn du mich fragst, dann ist Whisky besser.« Er ließ sich auf den Boden sinken und legte die Waffe neben sich. »Du, sag mal. Wann hast du kapiert, daß du verrückt wirst?«
    Errki bedachte ihn mit einem langen, schrägen Blick.
    »War das so, wie es in den Büchern steht, daß du morgens aufgestanden bist und dich ganz elend gefühlt hast? Und dann bist du zum Spiegel gegangen und hast zu deinem großen Entsetzen gesehen, daß in deinen Augenhöhlen rote Würmer herumwimmeln?«
    Er lachte wiehernd und schraubte den Verschluß auf die Flasche.
    Errki schloß die Augen. Unten im Keller war ein leichtes Dröhnen zu hören, wie eine Warnung. »Es waren keine Würmer«, sagte er mit seiner leisen, hellen Stimme, »sondern Käfer. Mit blankem Panzer. Sie haben im Licht vom Fenster
    geglänzt, schwarz wie Öl.«
    Morgan kniff nervös die Augen zusammen. »Du erzählst doch Scheiß, oder? So läuft das doch nicht. Du bist zwar ein Idiot, aber deshalb brauchst du mich noch lange nicht so zu behandeln, als ob auch ich einer wäre. Ich nehme an, es ist so«, fügte er nachdenklich hinzu, »daß es ungeheuer wichtig ist, in Erfahrung zu bringen, warum man krank geworden ist. Deshalb habe ich ja gefragt. Vielleicht ist es erblich? War deine Mutter verrückt?«
    Errki schwieg und horchte. Auf die Worte, die wie Müllstücke aus dem Mund des anderen polterten. Wie feuchtes Papier, Kartoffelschalen, Kaffeesatz und Apfelbutzen.
    »Was ist mit dir?« fragte er leise. »Wann hast du es gemerkt?«
    »Was denn gemerkt?« Morgan kniff erneut die Augen zusammen und schaute aus dem Fenster. »Es ist wirklich nicht leicht, mit dir ein Gespräch zu führen. Wenn es etwas gibt, worüber du gern sprichst, dann sag Bescheid. Du kannst dir das Thema aussuchen.« Er seufzte tief. »Es ist noch lange bis zum Abend.«
    Neues Schweigen. Errki saß mit angezogenen Beinen auf dem Sofa.
    »Große Teile der Welt leben im Krieg«, sagte er endlich.
    »Ach was? Ja, das kann sein. Erzähl doch ein bißchen über die Anstalt«, sagte Morgan. Er klang jetzt fast flehentlich.
    Das hätte Errki durchaus gekonnt. Wenn er gewollt hätte. Zum Beispiel hätte er von Ragne erzählen können, die sich nicht damit abgefunden hatte, als Mädchen geboren worden zu sein, und die immer wieder in einer Blutlache im Bett oder unter der Dusche gefunden wurde, wo sie versucht hatte, sich die Geschlechtsorgane abzuschneiden. Und bei einem Mädchen war das nicht leicht. Limo, Tee und Kaffee, dachte Errki. Bier, Wein und Schnaps.

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