Wer lügt, gewinnt
sinnliche Frau, tötet auf einer Eisenbahnfahrt mit Hilfe ihres Ehemannes ihren Patenonkel, den Millionär Ernest (dessen Erbin sie ist). Diogo, der Maschinist, wird Zeuge des Verbrechens. Ein blutbeflecktes Band wird zwischen ihnen geknüpft. Diogo verliebt sich in die Mörderin weder aufgrund ihrer Schönheit noch wegen ihrer Qualitäten, sondern genau deshalb, weil sie eine Mörderin ist. (Wilmer, ich habe mir überlegt, folgende Parallele herzustellen: Evas Verbrechen ist das Kunstwerk, sie, die Mörderin, die Künstlerin, und er ist der potentielle Künstler, der die Qualen des schöpferischen Prozesses durchleidet.) Eines Tages gesteht Eva Diogo ihre Tat (die Geheimnisse ihrer Kunst), und während er die Einzelheiten des Mordes (des Kunstwerks) erfährt, nimmt er seinen ganzen Mut zusammen, bringt Eva um und vollbringt damit sein eigenes Werk. Letzte Szene: Diogo, der Maschinist, wird von einem Bewunderer Evas in das Räderwerk des Zuges gestürzt und stirbt.
Gruß,
Guber
Von: Wilmer An: José Guber
Was ist mit Ihnen? Verbringen Sie Ihre Zeit jetzt beim Psychoanalytiker auf der Couch? Das Exposé zu Der degenerierte Epileptiker ist in den Papierkorb gewandert. Ihre Frist ist abgelaufen. Ich will mit Ihnen sprechen.
Reichen Sie sich selbst die Hand
Ich erkläre,
daß Ihr, um leben zu können, Euch von Kopf bis
Fuß mit Augen ausrüsten müßt: Nicht nur mit
Hohlräumen für die Augen in Euren Rüstungen,
sondern mit riesigen, offenen, wachen Augen.
Augen in den Ohren, um all die Falschheit, all die
Lügen zu entdecken, Augen an den Händen,
um das zu sehen, was die anderen nicht geben,
und wichtiger noch, was sie nehmen, Augen an den
Armen, um Eure Fähigkeiten zu ermessen, Augen auf
der Zunge, um über das nachzudenken, was Ihr sagt,
Augen in der Brust, um Eure Geduld entwickeln zu
helfen, Augen im Herzen, um Euch vor dem ersten
Eindruck zu bewahren, Augen in den Augen selbst,
um zu sehen, wie sie sehen.
Baltasar Gracián
El Criticón
15
Jemandem ein Messer in den Rücken zu stoßen ist eine Sache, etwas vollständig anderes dagegen ist es, einer Schlange die Arbeit zu erleichtern. Es war gleichermaßen ein Verbrechen, doch Tatsache ist, daß ich mich nicht wie ein Mörder fühlte, es ging mir blendend, keinerlei Schuldgefühle, kein schlechtes Gewissen, ich war gelassen, fuhr friedlich auf der Dutra, der Autobahn, die Rio mit São Paulo verbindet, verspürte lediglich ein wenig Müdigkeit. Bei einer Tankstelle hielt ich an und trank einen Kaffee. Als ich zum Wagen zurückkam, stellte ich fest, daß ich die tote Jararaca auf der Rückbank vergessen hatte. Ich warf sie die Böschung hinunter.
Fúlvia hatte gesagt, Ronald würde innerhalb von weniger als acht Stunden sterben. Sie hatte die Familie benachrichtigt, die Cousins, sie konnten jeden Augenblick eintreffen. Wir hielten es für besser, daß ich nach São Paulo zurückkehrte. Wir verabredeten, daß ich weder zur Totenwache noch zur Beerdigung kommen sollte, Fúlvia würde mich telefonisch über alles auf dem laufenden halten.
In São Paulo gab ich erst mal den Wagen bei der Autovermietung zurück. Ich ging bei einer Bäckerei vorbei und kaufte eine Schachtel gemischter Pralinen für meine Mutter. In einer Tierhandlung kaufte ich auch zwei Mäusebabys für meine Sucuri.
Auf meinem Anrufbeantworter waren jede Menge Nachrichten. Die meisten stammten von Wilmer, der Arbeit von mir sehen wollte.
Ich duschte, legte mich aufs Bett und wartete. Nach meiner Rechnung mußte Ronald bereits tot sein. War er aber nicht. Ronald lag, den Leib voller Schläuche und Nadeln, auf der Intensivstation und lebte noch. Die Funktion der Lungen wurde mittels eines Beatmungsgerätes aufrechterhalten, und das Herz, das bereits einen Stillstand erlitten hatte, schlug dank einer Herzmaschine weiter. Das hatte mir Fúlvia am Telefon mitgeteilt. Ich kann gar nicht abwarten, bis endlich alles vorbei ist, sagte sie, ich will dich heiraten.
Am Montag ging ich sehr zeitig in den Verlag. Meine Frist war abgelaufen, ich könnte um eine weitere Woche Aufschub bitten, ich könnte um einen Vorschuß bitten, so meine Vorstellung. Gehen Sie nicht mehr ans Telefon? fragte mich Wilmer gleich, als er mich sah.
Mit meinem Äußeren schien es nicht zum besten zu stehen. Wilmer grinste. Da ging mir ein Licht auf. Seit zwei Jahren war ich in diesem Loch, endlich war der Tag gekommen. Ich grinste nicht zurück. Möchten
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