Wer mit Hunden schläft - Roman
worden war und die dann in Wien eine illegale Abtreibung hatte machen lassen. Über die Mitglieder der im Dorf ansässigen Vereine, den Trachtenverein, den Eisschützenverein, den Stinglgocken, wie er sie beschimpfte, den Gesangsverein und den Fußballverein, über den er sich am meisten ausließ. Dabei war er selbst Mitglied in diesen Vereinen, beim Fußballverein sogar Kassier. Versäumte nie ein Treffen dieser Vereine, vor allem nicht beim Kameradschaftsbund, der ihm der liebste war. Die wenigsten Mitglieder beim Pichlberger Kameradschaftsbund waren echte Soldaten gewesen. Die meisten Soldaten waren längst nicht mehr auf der Welt, sondern schon im Krieg totgeschossen worden, an altersbedingten Krankheiten oder tragischen Unglücken gestorben. Die Söhne dieser verstorbenen Kameraden zogen die Uniformen ihrer Väter an, hängten sich die Orden ihrer toten Väter um und steckten sich ihre Auszeichnungen an die Brust. Sangen schöne patriotische Lieder, wie der Leitenbauer immer gesagt hat. Diese Lieder wurden vom Kameradschaftsbund mit Unterstützung des Gesangsvereins zumeist zu Allerheiligen am Kriegerdenkmal bei der vom Pfarrer Probodnig durchgeführten Kriegerdenkmalsegnung gesungen. Die meisten Mitglieder des Kameradschaftsbunds, die diese Lieder leidenschaftlich mitsangen, waren nicht nur nicht im Krieg, sondern nicht einmal beim österreichischen Bundesheer gewesen, wie der Verein zur mutmaßlichen Landesverteidigung in Österreich heißt. Der Grund dafür war ihre vom vielen Arbeiten verursachte Zusammengeschundenheit, wie sie sagten, weshalb sie als für den Dienst an der Waffe untauglich geschrieben wurden. Das hinderte sie nicht daran, nach dem offiziellen Teil in die Wirtshäuser zu gehen und nach dem Konsum mehrerer Biere und Schnäpse, auf einem Jägergrab da blühen keine Rosen … der Jüngste war kaum vierzehn Jahr … die Fahne Hoch auf einem Jägergrab … da blüht das Edelweiß … die Reihen dicht geschlossen … er scheute nicht den Tod fürs Vaterland … der Tag für Freiheit in meiner Heimat … ja da blühen die Rosen und für Brot bricht an … froh ist unser Sinn in meiner Heimat ist es wunderschön … es braust unser Panzer im Sturmwind dahin … die Knechtschaft dauert nur noch kurze Zeit … wo man mit Blut die Grenze schrieb et cetera zu singen. Bei der Kriegerdenkmalsegnung musste auch der Norbert, natürlich in seinem körperfeindlichen Kindersteireranzug steckend, teilnehmen.
»Die Kriegerdenkmalsegnung zu Allerheiligen habe ich immer gehasst als Kind, Kreisky. Diese Prozedur ist mir immer unnatürlich vorgekommen, gekünstelt. Wie eine Zirkusvorstellung. Als Kind schon ist mir das aufgefallen. Als Kind fällt dir ja so was sofort auf, nicht wahr? Erst später fällt dir das dann nicht mehr auf, wenn sie dich an ihre Gemeinheiten gewöhnt haben, sag ich zu ihm.«
Die Mitglieder des Kameradschaftsbunds, aber auch viele Pichlberger, hatten bei der Kriegerdenkmalsegnung die verschiedensten Wimpel und Fahnen mit, die sie theatralisch hin und her schwenkten, zu den Melodien der gesungenen Lieder, offensichtlich tief berührt, und gerührt auch. Nachdem der Pfarrer Probodnig eine Predigt über Glaube, Vaterland und Heldentod gehalten hatte, wurde von den Mitgliedern des Schützenvereins, die mit den Eisschützen aber nicht das Geringste zu tun hatten, mit ihren schweren Böllergewehren über das Kriegerdenkmal hinweggeschossen. Alle waren sie kostümiert und trugen ihre Vereinstrachtenkostüme. Der Pfarrer sein Allerheiligenkostüm, die Ministranten ihr Ministrantenkostüm, der Norbert und die übrigen an dieser Veranstaltung zur Teilnahme gezwungenen Kinder ihre Scheinerwachsenenkostüme. Die in Zivil gekommenen Pichlberger ihre Sonn- und Feiertagskostüme, die zur Gänze aus Steireranzügen und Dirndlkleidern bestanden.
»Ein kostümiertes Totengedenken ist es gewesen, das Allerheiligen auf dem Pichlberger Friedhof. Mit einem penetranten Wimpel-und-Fahnen-hin-und her-Gewachel und dem ranzigen Mief des Ewiggestrigen, das vom Leitenbauer als Tradition und Traditionspflege bezeichnet worden ist, wirklich wahr, Kreisky«, sagt der Herr Norbert.
Von der traditionellen Prozession aufgeladen und der eigenen langen Tradition überwältigt, geriet der Leitenbauer beim Abendessen dann ins Schwärmen. Über das, was früher alles besser gewesen sei und was es früher alles nicht gegeben habe, schwadronierte er. Was unter dem Erzherzog Johann alles besser gewesen sei und was es unter dem
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