Wer morgens lacht
dort, jetzt ist das Haus groß genug für sie, sie sind ja nur noch zu zweit, aber früher, als Omi noch lebte und Marie und ich Kinder waren, war es ziemlich eng. Der Keller hat nur zwei kleine Räume, einer war früher für die Lagerung von Kartoffeln und Äpfeln bestimmt gewesen, und zu Omis Zeiten stand links neben der Tür noch ein Regal mit Gläsern voller Eingewecktem. Marie hat einmal ein Glas mit Erdbeerkompott aus dem Keller geschmuggelt und wir haben es heimlich im Schuppen leergegessen. Aber dann hat Omi die Flecken auf meinem Pullover gesehen und tatsächlich das leere Glas hinter einem Hasenstall entdeckt. Sie war zornig und hat uns hart bestraft, denn ihre Vorräte waren ihr heilig, ein Haushalt ohne Vorräte war für sie unvorstellbar, ein Mensch muss schließlich wissen, was er morgen, übermorgen oder nächste Woche essen kann. In dem anderen Raum, dem ursprünglichen Kohlenkeller, haben unsere Eltern nach Omis Tod eine Zentralheizung einbauen lassen, sie hatten endgültig genug von den stinkenden Öl öfen.
Im Erdgeschoss befinden sich außer einer Küche mit einer kleinen Speisekammer noch ein Wohn- und ein Schlafzimmer, im ersten Stock zwei weitere Schlafzimmer und ein Bad. Das Bad hat unser Vater gleich im ersten Jahr nach der Hochzeit in die frühere Dachkammer eingebaut, eigenhändig, wie er immer betonte. Omi hatte an einer Mädchenschule Kochen und Handarbeit unterrichtet, und ihr Gehalt hatte gerade gereicht, um sich und ihre Tochter durchzubringen, großartige Umbauten am Haus hatte sie sich nicht erlauben können. Dass er es war, der das Bad eingebaut hatte, war die einzige Waffe unseres Vaters, wenn Omi giftig, wie sie manchmal war, erwähnte, dass das Haus ja noch immer ihr gehörte. Nach der Hochzeit hatte sie unseren Eltern das untere Stockwerk überlassen, sie selbst bewohnte den ersten Stock, doch als Marie kam, gab sie ihnen zusätzlich das frühere Schlafzimmer ihrer Eltern, damit sie unten ein Kinderzimmer einrichten konnten. Sie selbst behielt ihr altes Zimmer, in dem sie schon als junges Mädchen gelebt hatte.
Am meisten liebten wir es, wenn uns Omi aus der Zeit erzählte, als sie selbst noch ein Kind gewesen war. Vielleicht hatten wir ihr ja auch unsere Liebe zu Geschichten zu verdanken, Geschichten aller Art, die wir dann weiterspinnen konnten. Sie war dreizehn, als sie nach Allach kam, aber richtig heimisch ist sie hier nie geworden, heimisch kann man sich an einem fremden Ort wohl nur dann fühlen, wenn man freiwillig hingezogen ist. Für sie war die Haamet bis zu ihrem Tod – da hatte sie immerhin vierundfünfzig Jahre hier gelebt, die meisten davon in diesem Haus – die mährische Marktgemeinde Vierzighuben bei Zwittau im Schönhengstgau, wo sie ihre Kindheit verlebt hatte. Marie und ich haben uns immer ausgemalt, wie unvorstellbar märchenhaft diese ersten dreizehn Jahre gewesen sein mussten, wenn Omi als alte Frau noch davon träumte. Oder wie schrecklich die vielen Jahre danach. Mit dreizehn war sie mit ihren Eltern, mit den Onkeln und Tanten, den Cousins und Cousinen aus Vierzighuben vertrieben worden. Wir sind Vertriebene, betonte sie immer, wir sind Heimatvertriebene, keine Flüchtlinge, Vertriebenen hat man etwas angetan, Flüchtlinge sind von sich aus geflohen, das ist ein Unterschied.
Dieser Ort ihrer Kindheit bedeutete ihr alles, ich glaube, sie hat sich gegen jede Vernunft bis zuletzt nach einer Rückkehr in ihr persönliches Paradies gesehnt, als könnte damit alles, was in ihrem Leben schiefgelaufen war, wieder zurechtgerückt werden. Dahaam, die Haamet, das war ihr ewiger Sehnsuchtsort, ein märchenhaftes Traumland, in dem alles anders war, dahaam war der Himmel hoch, viel höher als hier, die Winter waren kälter und die Sommer heißer, die Wälder waren dunkler und die Bäche klarer, das Gras war grüner und die Erde dunkelbraun und fett. Dahaam waren die Menschen gottesfürchtig und ehrlich, die Nachbarn halfen einander und die Familien hielten zusammen. Nie hätte man seinen Nächsten im Stich gelassen, nur weil er unschuldig in Not geraten war, und auch dem, der sein Unglück selbst verschuldet hatte, hätte man nach Kräften zu helfen versucht, denn es steht geschrieben, wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Dahaam war alles besser gewesen. Marie sagte einmal, dahaam haben die Vögel im Chor gesungen und die Hunde und Katzen die Küche geputzt.
Wir konnten ihr stundenlang zuhören, wenn sie von dahaam erzählte. Wir träumten von ihren
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