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Wer schön sein will, muss sterben

Wer schön sein will, muss sterben

Titel: Wer schön sein will, muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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schnell wieder gesund
trug. »Irgendwie bin ich mir nicht sicher, ob der von einem Freund oder einem Feind ist.«
    »Ich auch nicht«, antwortete ich.
    Je schwieriger es ist, mit etwas umzugehen, desto tiefer wird es vergraben
, hatte Dr. Tan zu mir gesagt. Als ich das Foto anblickte, spürte ich, dass ich nahe dran war. Am letzten Geheimnis.
    Jetzt stand Ruben vor einem herzförmigen Kranz aus Rosen, flankiert von einer kleinen Figur und einer Puppe. »Und was ist das hier alles?
Von Deinem heimlichen Verehrer
«, las er eine der Karten laut vor. »Das Ganze?« Er deutete darauf. Ich nickte. »Also, Moment mal – du hast einen Freund, einen Freund, der keiner ist, und einen heimlichen Verehrer.« Er sah mich an und schüttelte den Kopf. »Kein Wunder, dass jemand versucht hat, dich zu überfahren.«
Je schwieriger es ist, mit etwas umzugehen …
    Ich starrte das Gesicht des Mädchens auf dem Foto an und dachte an den Spiegel im Badezimmer unten. Wie er beschlagen war, die Fläche zwischen meinen Handflächen, wo mein Gesicht hätte sein sollen, leer. Und die Wahrheit überflutete mich mit der Gewalt eines über die Ufer tretenden Flusses, unausweichlich, schmerzlich, mir den Atem raubend.
    Auf einmal wusste ich alles. Ich wusste, wie eine unsichtbare Hand schreiben konnte. Wie jemand anrufen konnte, aber niemals gehört wurde. Wie ein Ring verschwinden und am falschen Platz wieder auftauchen konnte. Ich wusste über den Anruf Bescheid. Den Drink. Das Auto.
    Ich wusste, dass ich nicht verrückt war, es nie gewesen war.
    »Ich komme gleich wieder, um nach dir zu sehen, Prinzessin.« Ich hörte kaum, was Ruben sagte.
    Ich wusste, wer mein Killer war. Ich hatte es die ganze Zeit gewusst, aber mein Gehirn hatte die ganze Zeit nach einer anderen Lösung, einer anderen Erklärung gesucht. Nach einem Ausweg.
    Es gab keinen. Die letzten Teile des Abends fügten sich ein.
    Ich bin allein mitten auf der Straße. Sie ist rutschig und glänzt vom Regen.
    Bleib nicht stehen, sage ich mir. Du musst weiterlaufen. Jemand dem ich vertraue, will mir wehtun.
    Ich renne die Straße hinunter, mein Knöchel knickt um, und ich falle hin.
    Steh auf! Halt nicht an!
    Ich will zu meiner Mom, denke ich, als ich mit Mühe wieder auf die Füße komme, spüre ich eine tiefe Sehnsucht nach ihr, die wie eine Sinfonie in mir widerhallt. Ich will mich an sie kuscheln in der alten Hängematte unter der Ulme in unserem Garten in Naperville, will Bienen beobachten, die faul von einer Blume zur nächsten taumeln und Annie und meinem Vater zuhören, wie sie eine ihrer erfundenen Geschichten von Prinzen, Königinnen und Flusspferden weiterspinnen. Ich will wieder in unserem alten Kombi sitzen und Wetten darauf abschließen, wie lange es noch dauert, bis die Ampel grün wird, und über die Fähigkeit meiner Mutter staunen, es fast immer richtig zu sagen. Ich will wieder in der Küche mit den gelben Fliesen sitzen – sie sind nie dazu gekommen, sie zu renovieren – und mit meinem Vater Blaubeerpfannkuchen essen, während Annie in ihrem Hochstuhl ›Itsy Bitsy Spider‹ singt. Ich will irgendetwas mit meiner Mutter und Annie und Joe in der neuen Küche machen.
    Ich will in die Zeit zurück, in der ich noch nicht so viel wusste, noch nicht so viel Schmerz verursacht habe. Ich will, dass der Schmerz aufhört. Was mache ich hier, wieder auf einer anderen Party, in einem anderen Kostüm? Warum bin ich nicht zu Hause geblieben? Warum bin ich nicht immer zu Hause geblieben? Zu lange schon hatte ich Verkleiden gespielt.
    Beweg dich. Geh weiter.
    Bäche von Regenwasser schießen die Rinnsteine hinunter und zwingen mich, in der Mitte der Straße zu gehen. Es ist wie ausgestorben, nur hin und wieder eine einzelne Straßenlaterne, wie in jeder schicken Gegend. Mein Knöchel tut weh, ich humpele und es ist kalt, aber der Regen lässt nach.
    Mein Handy klingelt. Ich blicke aufs Display und zögere. Will ich mit Ollie reden? Ich brauche jemanden, bei dem ich mitfahren kann.
    Ich bin durchnässt und brauche drei Versuche, um mit meinen zitternden Fingern das Handy aufzuklappen. Eine Stimme, nicht Ollies, sagt: »Wo bist du? Ich komme und hol dich.«
    »Ich bin in der Peregrine Road.«
    »Bieg an der nächsten Ecke rechts ab, ich komm da hin.«
    »Okay, bis gleich.«
    Ich biege ab und gehe weiter mitten auf der Straße, durch tiefe Dunkelheit, in die Lichtkreise der Straßenlaternen und wieder in die Dunkelheit. Mein Handy vibriert, ich taste danach und will abheben. Es

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