Wer Schuld War
nichts an. Der Polizist folgt gehorsam ihrem Blick.
»Außerdem müssen Sie das ihn fragen«, sagt sie. »Er wollte hier parken.«
»Verstehe.«
»Er wollte unbedingt hier parken. Und ich habe jetzt ein aufgebrochenes Auto.« Sie hebt ihre Stimme, aber er reagiert nicht.
Der Polizist macht ein Gesicht, als sei ihm das peinlich. »Würden Sie hier bitte unterschreiben«, sagt er. »Und da!«
Sie unterschreibt in ihrer Krakelschrift, die kein Mensch lesen kann, nicht einmal sie selbst. »Gibt es eine Chance, die Sachen
zurückzubekommen?«
»Also …«
Das hört sich nicht gut an.
»Anfänger erwischt man leichter. Vielleicht waren es Anfänger. Es sieht nicht sehr professionell aus.«
»Wird die Versicherung zahlen? Wenigstens für das eingeschlagene Fenster?«
»Das müssen Sie mit Ihrer Versicherung klären.«
»Aber Sie haben doch bestimmt Erfahrung mit solchen Sachen.«
»Zu Versicherungen kann ich nichts sagen.«
BARBARA
Als Barbara noch klein war, explodierte der Weihnachtsbaum, stand plötzlich als Kugel mitten im Raum, erleuchtete ihn wie
eine Sonne im Miniformat, und ein paar Sekunden später hatte sich die Welt um sie herum verwandelt, waren Wände und Möbel
total verkohlt, und der Baum sah hässlich und nackt aus.
In der Nacht vor Pauls Beerdigung träumt Barbara von einer Tanne, die sich in einen Feuerball verwandelt, bevor sie zusammenschrumpft
und ein pechschwarzes Skelett hinterlässt. Aber das Schlimmste ist die Erkenntnis, die sie wie ein Blitz durchfährt: dass
das hier nämlich ihre Schuld ist, nicht nur die brennende Tanne, auch Pauls Tod und Manuels Verschwinden. Weil sie zerstört,
was immer sie anfasst, auch dann, wenn sie nur das Beste will oder gar nichts will oder alles nicht so gemeint hat.
Sie macht die Augen auf. Wahnsinn, ihre Lider sind tonnenschwer, aber immerhin verschwindet der Traum irgendwo im Unterbewusstsein,
wo er sich in aller Ruhe auf seinen nächsten Angriff vorbereiten kann. Barbara, die notorische Zündlerin, hat nämlich den
Baum damals tatsächlich angezündet und ist nie ordentlich bestraft worden. Bis heute hat sie noch das Zischen des Streichholzes
im Ohr und den Geruch der glühenden Tannennadeln in der Nase, von dem ihr jedes Weihnachten schlecht wird. Sie starrt an die
Zimmerdecke, als gäbe es da irgendetwas, das ihr Halt geben könnte, während ihr rechtes Bein kribbelt und sich ihre Kiefermuskeln
anfühlen, als hätte sie diehalbe Nacht auf einem knorpeligen Stück Fleisch herumgekaut.
Ein Motorrad startet mit einem Höllenlärm, die Fenster vibrieren von dem an- und abschwellenden Dröhnen. Danach ist es furchtbar
ruhig, scheint Morgensonne ins Zimmer und spiegelt sich in der Aluminiumfront des nagelneuen Kleiderschranks, den Barbara
nun für sich allein haben wird, ein riesiges Ding, dessen gesamte linke Hälfte vollkommen leer ist. Barbara hört die Katzen
an der Schlafzimmertür kratzen und weiß wieder ganz genau, was sie nicht wissen will, nämlich dass außer ihr niemand da ist.
Katzen gelten nicht.
Wenn sie jetzt aufsteht, mit ihrem kribbelnden rechten Bein und ihrem verspannten Kiefer, gibt sie vor sich selbst zu, dass
ihre Lage ist, wie sie ist, und dass das Leben trotzdem mit seiner typischen Gnadenlosigkeit weitergeht beziehungsweise über
sie hinwegtrampelt.
Solange sie liegen bleibt, hält sie alles in der Schwebe.
Sie bleibt also liegen, starrt an die Decke und denkt minutenlang nichts, außer dass kribbelnde Beine ein Hinweis auf Karzinome
im Rückgrat sein könnten. Dann hört sie ein zweistimmiges aufgebrachtes Miau und rollt sich schließlich widerwillig aus dem
Bett.
Der Dielenboden fühlt sich eisig an. Ihr Bein ist immerhin wieder normal, also leidet sie wahrscheinlich weder an Krebs noch
an Multipler oder Amyotropher Lateralsklerose, und das wird voraussichtlich die einzige gute Nachricht dieses Tages bleiben.
Das Duschgel ist alle, also wäscht sich Barbara mit einem Rest von Manuels Nivea-Seife und weint unter dem fließenden Wasser,
weil er so ein Arschloch ist, so gefühllos und gemein, dass er ihr selbst in Abwesenheit das Gefühl gibt, total wertlos zu
sein. Dann spritzt sie sich kaltab, und steigt mit brennenden Augen aus der Dusche und dabei beinahe auf eine der Katzen, die steifbeinig nebeneinander auf
dem Badezimmerteppich stehen, die buschigen Schwänze steil nach oben gerichtet. Sie hat vergessen, ihnen Futter zu geben,
ein Ritual, das
immer
vor dem Duschen
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