Wer sich nicht fügen will
Nordström nahm den Kaffeewärmer von der Kanne und goss sich nach.
»Jetzt können wir eine Weile aufatmen, bis der Markt neu aufgeteilt wird. Denn das Geschäft blüht wieder auf, das steht fest. Rate mal, ob mich das fuchst? Du wärst natürlich zufrieden, wenn ich jetzt sagen würde, dass ich mich für alle Männer schäme, aber das tue ich nicht. Frauen sind nicht für alle Männer Handelsware, wenn auch für erstaunlich viele. Ich bin dafür, den Kauf sexueller Dienstleistungen gesetzlich zu verbieten. Sonst richtet sich der Markt nach den Wünschen des Käufers, und gegen die Macht des Geldes ist schwer anzukämpfen.«
Ich betrachtete Lasses Hände, die den buschigen Schwanz von Tanelis Plüschhund streichelten. Er hatte dicke Fingergelenke, der Handrücken war goldblond behaart.
»Du scheinst zu glauben, dass ich meinen Beruf nur ausübe, um Ehre einzuheimsen und meinen Namen in der Zeitung zu sehen. Da irrst du dich, Kallio. Ich bin genauso ein Weltverbesserer wie du, deshalb hat Anne mich ja verlassen. Sie meinte, das Wohlergehen der Nutten wäre mir wichtiger als meine eigene Frau. Aber wenn man die Realität sieht …« Nordström schüttelte den Kopf. »Deshalb habe ich Lulu Nightingale verabscheut. Sie hat versucht, eine Branche als glamourös hinzustellen, in der es zum allergrößten Teil um Sklaverei und Vergewaltigung geht. Und solange die Freier straffrei ausgehen, dauert der Sklavenhandel an. Die Situation wird nur noch schlimmer, wenn die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Aber Menschen sind nicht bloß ein Stück Fleisch, jedenfalls nicht, solange ich etwas dagegen tun kann.«
Nordström stand auf und ging zur Balkontür. Ich fragte mich, weshalb er seine Predigt gerade mir hielt. Vielleicht glaubte er, ich würde ihn verstehen.
»Was hältst du von Kaartamo?«, fragte er plötzlich, ohne mich anzusehen.
»Ich gehöre nicht zu seinem Fanclub.« Ich versuchte, scherzhaft zu sprechen, denn ich traute Nordström immer noch nicht ganz.
»Zum Teufel, ich auch nicht! Weil wir Gesetzeshüter wie ihn haben, ist doch alles so verkorkst! Kaartamo und seinesgleichen wollen für manche Menschen besondere Regeln gelten lassen. Echte Männer haben ihre Bedürfnisse, das muss man eben akzeptieren, Steuerhinterziehung ist eine Art Nationalsport … Was kann ein einfacher Polizist gegen diese Kerle ausrichten?«
Ich hatte keine Antwort parat. Nordström setzte sich wieder aufs Sofa und trank seine dritte Tasse Kaffee, die Kekse rührte er nicht an. Seine Haare waren gewachsen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, im Nacken standen sie nicht mehr hoch.
»Die Mädchen werden ausgewiesen, und das finnische Rechtswesen wäscht seine Hände in Unschuld. Nächste Woche sind sie in der Schweiz oder in Polen.«
»Die Operation war also erfolgreich, aber du scheinst einen schweren seelischen Kater zu haben.«
»Allerdings. Ein körperlicher wär mir lieber. Lass uns irgendwann mal eine Whiskytour machen; wenn du Kristian nicht begegnen willst, gehen wir eben zu zweit. Ich hab nichts gegen dich, Maria, ich war mir nur nicht sicher, auf welcher Seite du stehst.«
»Ich kämpfe für Recht und Gesetz«, versuchte ich zu grinsen. Es fiel mir nicht leicht.
Nordström setzte seine Ausführungen für die Dauer einer weiteren Tasse Kaffee fort und verschwand dann so unvermittelt, wie er gekommen war. Wir vereinbarten, auf die Idee mit dem Whisky zurückzukommen, sobald man vor den Lokalen im Freien sitzen konnte.
Als wir uns eines Abends mit ein paar anderen Frauen bei Liisa Rasilainen trafen, sprach ich Ursula auf die Anzeige an. Ich hatte die Einladung akzeptiert, weil ich dachte, das Treffen würde mich aufmuntern, obwohl die Kolleginnen mich natürlich an den Beruf denken ließen.
»Ich dachte mir, ich mach die Anzeige, schon allein um Kaartamo zu ärgern«, erklärte Ursula. »Der Kerl, der mich nach dem Preis gefragt hat, meldet sich garantiert nicht. Du hast dir unnötige Sorgen gemacht, oder?«
»Stimmt«, gab ich zu. Ich verschwieg ihr, dass ich einige meiner Mitarbeiter leider ähnlich einschätzte wie Nordström. Ich wusste nicht immer, auf welcher Seite sie standen.
»Ich bin um Himmels willen keine Feministin«, verkündete Ursula wie schon so oft, »aber ich kann mir nicht vorstellen, wie die Männer im Beruf zurechtkommen, wenn all die gut ausgebildeten Frauen zu Hause bleiben. Die Typen haben Angst. Wir sind viel klüger als sie, außerdem sind sie derart triebgesteuert, dass wir
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