Falaysia - Fremde Welt - Band III: Piladoma (German Edition)
P rolog
E s begann leise, wie ein Flüstern, das der laue Wind herantrug; wie das verängstigte Hauchen eines stimmlosen Wesens, das nach Hilfe rief … noch unverständlich, unbegreiflich … so fern und doch so nah. Es berührte Nefian tief in seiner Seele, strich zart über seine so weit geöffneten Sinne und riss ihn damit aus seiner Trance, aus seiner tiefen Verbindung mit der Welt um ihn herum. Er benötigte nicht viel Zeit, um zu erahnen, was es war, wer dieses Zittern im Energiefeld auslöste, ganz unbewusst und ungezielt den einzigen von Nefians Sinnen ansprach, der diese Art von stummen Hilfeschreien wahrnehmen konnte – einen Sinn, den nur Menschen wie er besaßen. Er hatte so etwas schon lange nicht mehr gefühlt, hatte nicht damit gerechnet, dass der Junge, dass dieses kleine Kind dazu in der Lage war, die Energien um sich herum in dieser Weise zu beeinflussen, sie zum Vibrieren zu bringen und so aufzuwühlen, dass sie seine innere Notlage an andere Lebewesen herantrugen.
Angst und Trauer, das waren die Gefühle, die sich nun auch in Nefian selbst ausbreiteten und ihn rasch die Augen öffnen ließen. Sie waren stark, zerfressend, lähmend … schmerzhaft. Er atmete tief ein und wieder aus, schob die Gefühle vorsichtig zurück, in einen Winkel seines Bewusstseins, in dem sie kein Unheil anrichten, ihn nicht mehr belasten konnten, und erhob sich dann. Auch wenn er es nicht gern zugab: Der Junge brauchte seine Hilfe, würde sich nicht mehr allein aus dieser negativen Gefühlsspirale befreien können. Nefian konnte ihm auch ein anderes Mal die Prüfung abnehmen. Er musste sie nur vertagen, denn er war sich immer noch so sicher, dass Noema sie bestehen konnte. Er war der Einzige, der das konnte. Die einzige Hoffnung.
Nefians Weg führte ihn an der steilen Felswand entlang, die das heilige Tal Jala-manera von allen Seiten abschirmte, es nahezu unzugänglich für jedes menschliche Lebewesen machte, und schließlich hinein in den von Efeu umrankten Tunneleingang. Die kühle Dunkelheit verschluckte ihn wie ein schwarzes Sumpfloch, doch ließ sie ihn nicht völlig blind werden. Wer diesen Weg durch das Tunnellabyrinth schon so oft beschritten hatte wie er, brauchte nicht mehr seine Augen, um sich zurechtzufinden. Nefian fühlte mit all seinen anderen Sinnen, wie und wohin er sich bewegen musste, kannte jede Vertiefung im Boden, jeden Felsvorsprung in den Wänden. Die unzähligen Verästelungen des Höhlenlabyrinths stellten für ihn keine Gefahr mehr dar, hatten sie sich doch wie eine Landkarte in sein Gedächtnis gebrannt, die ihn ganz von allein durch die Dunkelheit leitete.
Er wusste nicht genau, wo sich der Junge befand, gleichwohlfühlte er, dass die geistige Verbindung zu ihm stärker wurde, was bedeutete, dass er sich bereits auf ihn zu bewegte. Ganz vorsichtig öffnete Nefian seinen Geist ein wenig mehr, tastete nach den Sinnen des Kindes, in der Hoffnung, dass Noema dies nicht spüren und den Zugriff von außen zulassen würde.
Zunächst wurden nur die Gefühle des Jungen für den alten Mann deutlicher, ließen sein Herz ungewollt schneller schlagen und tiefes Mitleid in ihm aufwallen. Dann vernahm er verzweifeltes Schluchzen, das von den kargen Felswänden zurück zu ihm geworfen wurde, spürte heiße Tränen über die Haut seiner Wangen laufen, auch wenn die seinen in der Realität trocken blieben. Es dauerte noch einen kleinen Moment, bis Nefian auch mit den Augen des Jungen sehen konnte. Es waren verschwommene Bilder, die an ihn herangetragen wurde. Kinderhände, die sich um etwas Buntes geschlossen hatten und dieses fest an die Brust drückten. Sandiger, steiniger Grund dicht vor ihm. Das Kind saß am Boden, so viel war sicher. Aber wo war es?
‚Heb den Blick‘, forderte Nefian ganz sanft, ganz vorsichtig, um seine Worte als innere Eingebung und nicht als eine fremde Stimme im Kopf des Kindes erscheinen zu lassen. Das würde den Jungen nur noch mehr verstören.
‚Sieh dich um‘, riet er ihm weiter und tatsächlich hob Noema nun endlich den Kopf, versuchte den Tränenschleier vor seinen Augen wegzublinzeln. Natürlich waren auch rings um ihn herum nur Felswände, aber zu seiner linken Seite tropfte Wasser von oben auf eine kleine Gruppe eindrucksvoller Stalaktiten, die ihr Spiegelbild an der wasserdurchlässigen Decke der Höhle fanden. Ein erleichtertes Lächeln stahl sich auf Nefians Lippen und er eilte sofort weiter, wusste er doch nun genau, wo sich der Junge befand. Es
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