Wer sich nicht wehrt...
Philosophie I.«
»Was soll's? Die Mediziner, die angesprochen sind, tippen sich an die Stirn und denken: Bleib du bei deinen geistigen Spinnereien … wir haben für Kranke zu sorgen. Das ist eine andere Welt als die unverbindliche Philosophie.«
»Genauso habe ich auch bisher gedacht. Mit philosophischen Erkenntnissätzen kann man keine Enzephalomyokarditis heilen. Wohl aber mit an Tieren erprobten Medikamenten.«
»Enze … und so weiter – ein ungeheures Wort. Damit kann man alle überzeugen!« sagte Tenndorf spöttisch.
»Oh, da gibt's noch ganz andere in der Medizin!« Sänfter lächelte wieder. »Seit heute nacht bin ich mir nicht mehr so sicher, ob eine solch stolze Antwort die richtige ist. Sie kommt mir plötzlich kaltschnäuzig vor.« Er blätterte wieder in seinen dicht beschriebenen Papieren. »Wieder muß ich Spaemann zitieren: ›Wir sollten uns nicht einschüchtern lassen durch das Argument: ‚Es gibt in der Welt soviel bestialisches Unrecht an Menschen, Hunger, Folterungen, Entwürdigungen. Solange all das existiert, haben wir Wichtigeres zu tun, als uns der Tiere anzunehmen!‘ Wer so argumentiert, den sollte man fragen, was er denn schon alles für dieses wichtigere Ziel getan hat. Meistens gar nichts. Es geht aber gar nicht um die Frage, ob es noch etwas Wichtigeres gibt. Wer von uns tut nur das Wichtigste im Leben? Was wäre das überhaupt für ein Leben? Das meiste jedenfalls, was wir tun und wofür wir uns engagieren, ist weit weniger wichtig, als eine Postkarte an den Bundestag zu schreiben: Schluß mit den Tierexperimenten! Zweitwichtigstes so lange zu unterlassen, bis alles Wichtigste sich erledigt hat, wäre das Ende aller Kultur!‹«
»Ich höre das Hohngelächter von Hunderttausenden von Medizinern …«
»Bitte nicht alles auf unserem Rücken! Da steht noch ein Heer von forschenden Chemikern!« Prof. Sänfter blickte gedankenvoll den Rauchkringeln seiner Zigarre nach. »Wissen Sie, wie lang eine schlaflose Nacht sein kann? Lang genug, um an sich selbst zu zweifeln! Ich habe Ihnen von meinen AIDS-Forschungen erzählt und vielleicht erwähnt, daß wir sie in Kürze an sogenannten Primaten fortsetzen werden …«
»An Affen …«
»Aber es gibt natürlich auch Alternativmethoden. Allerdings verlangen sie eine völlige Umstellung unserer so gut eingefahrenen Forschungspraxis. So kann man zum Beispiel Wirkstofftests an Pilz- und Bakterienzuchten vornehmen, oder man nimmt menschliche und tierische Zellgewebe- und Organkulturen. Noch sicherer sind isolierte, künstlich am Leben erhaltene Organe, Herzen oder Lebern, mit denen man praxisnah experimentieren kann.« Prof. Sänfter atmete tief durch. »Prof. Gärtner erklärte ganz klar, daß Bakterien- oder Zellkulturen oft wesentlich schärfere Untersuchungsergebnisse liefern als Tierversuche, obendrein noch für weniger Geld und in kürzerer Zeit. Und eine Wissenschaftlergruppe an der Uni Münster, ein Forscherteam unter der Leitung von Prof. Niels-Peter Lüpke, hat den Anwendungsbereich von Hühnerei-Tests so erweitert, daß man an bebrüteten Hühnereiern, also an Hühnerembryos, nicht nur die berüchtigten LD-50 Tests, sondern auch Schleimhauttests ausführen kann. Bisher wurden die Substanzen lebenden Kaninchen in die Augen geträufelt. Es gibt also neue Wege, – man muß sie nur suchen, ausbauen und benutzen! Ich werde diese Wege ab sofort beschreiten.«
»Sie, Herr Professor. Aber die Tausende von anderen Forschern? Ich habe – wo, das steht hier nicht zur Diskussion – eine Liste eingesehen. Danach beziehen allein in Deutschland mehr als 1.200 Laboratorien – also ohne die Kliniken! – Versuchstiere von Tierhändlern. Der Jahresumsatz eines gut eingeführten Tierhändlers liegt im Durchschnitt bei rund 700.000 Mark! Ist die ›Ware‹ zu ›heiß‹, was vor allem für gestohlene Tiere gilt, kreist sie durch Europa. Sie wird in die Schweiz oder die Tschechoslowakei geschickt und kommt von dort mit ›sauberen‹ Abstammungspapieren zurück. Für den Käufer genügt ein einfacher Besitznachweis des Händlers … dann endet die Suche nach den gestohlenen Tieren im Nichts.«
»So geschehen bei meinem Arras. Und ich gebe zu: Ich habe mich nie um die Herkunft meiner Tiere gekümmert. Sie waren da … das genügte mir.«
»Wie viele Tiere leben noch bei Ihnen im Versuchstierstall, Herr Professor?«
»Keine Ahnung. Vielleicht dreißig, vierzig. Warum?«
»Wäre es sehr vermessen, wenn ich Sie um Überlassung der Schlüssel zu
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