Wer war Jesus
freundlich« (Jes 40,1–2).
Die Erlöserkirche wurde am Reformationsfest 1898 feierlich eingeweiht, und Wilhelm II. ritt mit großem Pomp in Jerusalem ein.
Ein seidener Kreuzrittermantel bedeckte dabei seine weiße Ulanenuniform.
|35| 800 Jahre zuvor hatten sich bereits andere politische Aspiranten als Verteidiger des Heiligen Landes empfohlen. Die Kreuzritter,
an deren Beispiel Wilhelm II. erinnern wollte, unternahmen seit Ende des 11. Jahrhunderts zweihundert Jahre lang Kriegszüge
ins Heilige Land, um dort christliche Besitzrechte wiederherzustellen. Der erste Kreuzzug wurde ausgelöst durch den Aufruf
von Papst Urban II. im Jahre 1095. Er forderte den christlichen Adel auf, Jerusalem von den ungläubigen Muslimen zu erlösen
und das Heilige Grab in Jerusalem zu befreien. Etwa 100.000 Menschen – davon ungefähr acht Prozent Adlige und Ritter, der
Rest Idealisten, einfaches Volk und zum Teil Kriminelle – zogen in einem beispiellosen Akt höherer Seeräuberei in zwei Schüben
ins Heilige Land. Ihr gewaltiges Aufgebot charakterisierte der berühmte englische Historiker Edward Gibbon wie folgt: »Es
waren die Dümmsten und Wildesten, die ihre Andacht mit einer brutalen Zügellosigkeit von Plünderung, Prostitution und Trunksucht
mischten.« Jerusalem wurde wieder christlich, als das Kreuzfahrerheer es am 15. Juli 1099 eroberte. Das Gemetzel war furchtbar.
Leidtragende waren die dort ansässigen Muslime und Juden. Letztere verbrannte man bei lebendigem Leibe in ihren Synagogen.
Die christliche Herrschaft über Jerusalem dauerte aber nur knapp 100 Jahre: Sie fand ihr Ende durch den Sultan von Ägypten
und Syrien, Saladin, im Jahre 1187. Er war toleranter als die Eroberer und ließ die christliche Bevölkerung in Frieden. Doch
befahl er, alle christlichen Spuren auf dem Tempelberg zu verwischen. Fortan blieb der Platz auch nach weiteren vergeblichen
Kreuzzügen in muslimischem Besitz. Schon seit dem Jahre 691 ziert ihn der Felsendom, das früheste und bedeutendste islamische
Heiligtum in Jerusalem. Es hat die Jahrhunderte fast intakt überstanden.
Die gewaltsame christliche Wiederaneignung von Orten, die von Ungläubigen in Besitz genommen waren, hat eine lange Geschichte.
800 Jahre vor Beginn des ersten Kreuzzugs legte Kaiser Konstantin (306–337 n. Chr.), der sich auf dem Sterbebett christlich
taufen ließ, unter maßgeblicher Einwirkung seiner frommen Mutter Helena die eigentliche Grundlage für die Verehrung der heiligen
Stätten im Heiligen |36| Land. Zu jener Zeit beschritt man christlicherseits den Weg, heidnische Tempel in Kirchengebäude umzuwandeln, damit der Kern
der jeweiligen Städte mit Gotteshäusern angereichert werde. Wie das in Palästina vonstatten ging, schildert der Kirchenvater
und Günstling Konstantins, Euseb von Cäsarea (ca. 260–340 n. Chr.). Er erzählt in seiner Schrift »Über das Leben des seligen
Kaisers Konstantin«, wie im Jahre 326 n. Chr. unter einem Tempel der Venus das Grab Christi wieder aufgefunden worden sei.
Es heißt dort:
Diese Heil bringende Höhle hatten einige Gottlose und Verworfene bei den Menschen gänzlich in Vergessenheit bringen wollen,
von dem Wahne geleitet, dadurch wohl die Wahrheit verbergen zu können … (Aber nach der Zerstörung des Venustempels) zeigte
sich wider alle Erwartung das hehre und hochheilige Denkmal der Auferstehung (III 26–28).
Daraufhin gab Konstantin unverzüglich den Befehl,
ein gotteswürdiges Bethaus rings um die Grotte des Erlösers, mit reicher, wahrhaft königlicher Pracht, zu bauen (III 29).
Es konnte nicht ausbleiben, dass bald danach weitere Sensationsfunde folgten: Konstantins Mutter Helena entdeckte unter kräftiger
Mithilfe des Jerusalemer Bischofs Kyrill das Kreuz, an dem Jesus gestorben war, in unmittelbarer Nähe seines Grabes wieder.
Denn – so die Überlieferung – der Heilige Geist gab ihr ein, sich auf die Suche nach dem Kreuzesholz zu begeben. Sie habe
drei Kreuze gefunden, ohne dass das echte für sie erkennbar gewesen sei. Aber der Heilige Geist habe sie natürlich nicht im
Stich gelassen und ihr auf dem mittleren Kreuz die Kreuzesinschrift geoffenbart, durch die es zweifelsfrei als das Kreuz Jesu
identifizierbar war.
Dies alles führte zu einer wahren Springflut von Neuentdeckungen und Wiedererkennungen derjenigen Orte, an denen Jesus während
seines letzten Jerusalemaufenthaltes gewesen sein soll. Das Kreuzesholz von Jerusalem
Weitere Kostenlose Bücher