Wer war Jesus
der Ungerechtigkeit auf dieser Erde kommt es zu einer Infragestellung der
religiösen Wahrheit und der göttlichen Weltlenkung.
|105| Am Ende hängt alles von der ebenso banalen wie ernsthaften Frage ab, ob es jenen Gott überhaupt gibt, der seinen Sohn in diese
Welt gesandt hat, um sie und ihre Bewohner mit sich zu versöhnen, und ihn anschließend von den Toten auferweckte.
Die Religionskritik, die Religionen als Projektion menschlicher Wünsche zu verstehen lehrte, und die historisch-kritische
Methode, die jeden einzelnen Vers der Bibel als Menschenwort entlarvte, haben in den letzten 200 Jahren die Wahrheit dieses
Anspruchs so nachhaltig erschüttert, dass er nicht mehr vertreten werden kann.
Die von der Kirche unverdrossen gepredigte neue Wirklichkeit des Heils, angezeigt durch Jesu Erweckung aus dem Tode, ist ein
Nichts, da Jesus nie auferstanden ist. Entfällt aber so der entscheidende Bezugspunkt für die christliche Leidens- und Schmerzenstheologie,
kann man sich nur von ihr verabschieden. Schmerz will erlitten und schließlich durch Heilung oder Tod überwunden werden. Diese
Erfahrung haben Menschen millionenfach gemacht. Es ist das tragische, aber auch verheißungsvolle Gesetz unseres Lebens, an
dessen Ende zwar keine Versetzung in den Himmel, wohl aber eine Einkehr in das Ganze steht.
|106| 27. Beten nach dem Tode Gottes 1
Im Mittelpunkt des christlichen Glaubens steht Jesus als der neue Mensch. Seine Person ist der Angelpunkt eines Mythos von
kosmischem Ausmaß. Dieser setzt ein bei der Schöpfung der Welt durch Gott, erfährt eine tragische Zuspitzung im Sündenfall
Adams und findet eine Lösung im neuen Menschen, Jesus Christus. Dessen Sühnetod, der Gott gnädig stimmt, rettet alle, die
an ihn glauben, vor der Vernichtung und macht sie selbst zu neuen Menschen. Mit seiner Wiederkunft auf den Wolken des Himmels
vollendet sich das kosmische Drama: Das Alte vergeht, alles ist neu geworden.
Der so beschaffene christliche Glaube wurde seit der Aufklärung gnadenlos demontiert, und dies aus gutem Grund. Die Annahme
eines Schöpfers erwies sich als problematisch, seitdem feststand, dass der Kosmos sich seit Jahrmillionen als explodierendes
Ungeheuer in die Unendlichkeit schleudert. Die Religionskritik entlarvte das Gotteswort der Bibel als Menschenrede, und das
Fundament biblischer Heilslehren, die Auferstehung Jesu, löste sich in einen visionären Nebel auf. Aber auch die lange Blutspur
des kirchlichen Umgangs mit Ketzern trug zur Destruktion des Christentums bei.
Die Relativierung des Glaubens in der Neuzeit ist somit eng mit der wissenschaftlichen Kritik am christlichen Mythos verbunden.
Wissen war fortan – wenigstens von seinem Anspruch her – rational begründet, Glauben Irrationalität zugeordnet. Diese Beziehung
wurde dort schlagend bestätigt, wo es Führern gelang, Menschenmassen zum Glauben an sich fortzureißen. Allerdings stellt sich
die Frage, ob nicht in der Fähigkeit zum Glauben ein enormes, auch positiv zu wertendes Potenzial steckt und ob nicht zuweilen
Wissen in sein gerades Gegenteil umschlagen kann.
|107| Trat die neuzeitliche Wissenschaft mit dem Programm an, die Welt zu entzaubern, so muss nach einem Vierteljahrtausend Erfahrung
mit ihr einschränkend angemerkt werden, dass es ihr nie gelang, den Zauber des Glaubens vollständig zu bannen. Dies gilt aber
auch für weite Teile der wissenschaftlichen Theologie. Um Glaube und Vernunft in ein harmonisches Verhältnis zu bringen, interpretierten
manche ihrer Vertreter die christliche Botschaft »religionslos«, aus der Situation »nach dem Tode Gottes« heraus oder entmythologisierten
sie kurzerhand. Damit vertrieb man jedoch das Christentum aus der Kirche oder hetzte das christliche Ross als erschöpften
Klepper zu Tode. Offenbar war der säkulare Mensch von Anfang an ein Retortenbaby im Hirn von Wissenschaftlern, die das Leben
interpretieren, aber nicht kennen. Der von ihnen ausgetriebene Glaube verbündete sich alsbald mit anderen abergläubischen
Helfershelfern und eroberte die leer gefegten Häuser von Kirche und Gesellschaft zurück.
So glauben heutzutage ein Drittel aller erwachsenen Amerikaner Kontakt zu den Toten zu haben, ein Viertel glaubt an Reinkarnation.
Entführungen von Außerirdischen sind ernsthafter Gesprächsstoff, und in diesen Kreisen gilt die Doktrin, dass die Kraft oder
Intensität, mit der etwas empfunden wird, ein Anhaltspunkt für den
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