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Wer war Jesus

Wer war Jesus

Titel: Wer war Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Luedemann
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die es möglich ist, zu Gott zu gelangen«. Er fährt fort: »Gottes Weizen bin ich, und
     durch die Zähne der wilden Tiere werde ich gemahlen, damit ich als reines Brot Christi gefunden werde.« Gleichzeitig warnte
     der leidenswütige Bischof die römische Gemeinde davor, ihn durch Loskauf vor dem Martyrium zu bewahren.
    Gelegentlicher Protest christlicher Glaubensbrüder und Außenstehender diagnostizierte eine solche Martyriumssehnsucht als
     Krankheit. Doch das fruchtete nicht. Offensichtlich ist es ein Axiom |103| religiöser Logik, dass der Märtyrer automatisch seinen Lohn im Himmel bekommt und im Erleiden seiner Todesschmerzen auch Mitchristen
     den Weg ins Paradies eröffnet.
    Dahinter steckt die Vorstellung eines zunächst zwar mit Widrigkeiten verbundenen, letztlich aber um so profitableren Tauschgeschäfts:
     Durch die Hingabe des irdischen Lebens kauft sich der Märtyrer in die himmlische Seligkeit ein.
    Diese schauerliche Rechnerei beflügelte nicht nur die altkirchlichen Blutzeugen auf ihrem beschwerlichen Weg zu Gott. Sie
     sollte sich vielmehr in späteren Zeiten zusätzlich als ein vorzügliches Mittel erweisen, Politik zu betreiben.
    Den Kreuzfahrern im Mittelalter wurde als Anreiz derselbe himmlische Lohn in Aussicht gestellt wie den Söldnern im Dreißigjährigen
     Krieg, ganz gleich, für welche Seite sie kämpften. Ja, selbst heute hat dieses Kalkulieren vielerorts seine Zugkraft noch
     nicht verloren: Wer für die gerechte Sache Gottes stirbt, dem wird er es schon vergelten.
    Im Mittelalter wird das Leiden endgültig Hauptmotiv christlicher Frömmigkeit. Angefangen bei der noch vergleichsweise harmlosen
     intellektuellen Passionsmystik des Kreuzzugspredigers Bernhard von Clairvaux kommt es zu unterschiedlichen Ausgestaltungen
     des Schmerzes, wie etwa der franziskanischen Leidensmystik, der Frauenmystik, der Betrachtung der Wunden Jesu, der Stigmatisierung
     und den praktischen Bußübungen.
    Einen besonderen Stellenwert erhält die Frauenmystik, die teils kontemplativ-intellektuell, teils praktisch gelebt, teils
     visionär, teils spirituell-erotisch, teils pathologisch-hysterisch in Erscheinung trat. Diese Affinität zum Schmerz im religiösen
     Erleben war unter den Frauen mitunter so stark, dass in zahlreichen Frauenklöstern ein Verbot übertriebener Geißelungen ausgesprochen
     werden musste.
    Eine Betrachtung der Leiden und Schmerzen Christi in ihrer Bedeutung für die christliche Religion wäre unvollständig, wenn
     nicht auch der Rolle des Blutes Christi gedacht würde. Erinnert sei an die Bluthymnen (»Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld«,
     »O |104| Haupt voll Blut und Wunden«) von Paul Gerhardt (1607–1676), der seinen Glauben allein auf Jesus und sein Blut gründete und
     darin viele Nachfolger bis in die heutige Zeit gefunden hat.
    Solche Bluttheologie ergeht sich in Übertreibungen des Wertes von Jesu Blut, wenn etwa gesagt wird, ein Tropfen davon wiege
     die Sünden der ganzen Welt auf. Hier, aber auch in den anderen christlichen Deutungen des Leidens Christi wird die geschichtliche
     Gestalt Jesu von Nazareth überfrachtet mit Theorien, die doch wohl nur dazu dienen, die eigene Angst zu besänftigen und die
     persönliche Seligkeit im Himmel sicherzustellen.
     
    Systematisch betrachtet dient Schmerz
als Werkzeug von Religion – wenn ihm im Hinblick auf die theologische Anthropologie eine dem Gesetz vergleichbare Aufgabe
     zukommt. Durch den Schmerz erkennt der Mensch seine eigenen Grenzen gegenüber Gott und hat die Möglichkeit zur Umkehr;
der Verherrlichung von Leiden – das wird besonders in der Märtyrerliteratur deutlich. So lässt sich fragen, ob nicht letztlich
     die Martyriumsberichte der christlichen Kirche und die klassische Pornographie auf den gleichen psychologischen Grundlagen
     fußen. Denn in beiden richten sich Blick und lebhaftes Interesse auf einzelne Körperteile, die ihre Hülle bis auf Haut, Haare
     und Fleisch verloren haben, und in beiden werden Schmerz und Lust mit anatomisch-chirurgischer Akribie vorgeführt;
als Anfang und Auslöser von Religion – in der Negation einer als feindlich empfundenen Welt. Diese Wertung kommt dadurch zustande,
     dass die Welt als Schein- und Gegenwelt aufgefasst wird, aus der es in die eigentliche Wirklichkeit auszuziehen gilt.
    Doch ebenso kann die Erfahrung des Schmerzes zum Ende von Religion führen. Hier greift dann die Dramatik der Theodizee. Durch
     die Realität des Schmerzes und des Leides sowie

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