Wer war Jesus
Schock von Karfreitag behaupteten die engsten Jünger,
sie hätten Jesus »gesehen«; dieser sei von den Toten erweckt worden und habe auf Petrus (= Stein) seine Kirche gegründet.
Als auferstandener Gottessohn erteile er ihnen persönlich Weisungen. Fortan war nicht mehr das Kommen des Gottesreiches zentral;
vielmehr rückten die Wiederkunft des auferstandenen Jesus und seine geheimnisvolle Gegenwart bei den Mahlfeiern in den Mittelpunkt.
Urplötzlich beanspruchte Jesus Würdetitel, die er zu seinen Lebzeiten abgelehnt hatte: er nannte sich »Herr«, der allen Herren
dieser Welt überlegen sei, »Menschensohn«, der auf den Wolken des Himmels zum Endgericht erscheine, »Gesalbter«, der zur Rechten
Gottes sitze. Die dogmatische Lehre über Christus (»Christologie«), die alle Vollmachtsansprüche des historischen Jesus deutlich
übertraf, war damit geboren. Sie rückte den historischen Jesus, der zwischen sich und Gott deutlich unterschieden hatte (»niemand
ist gut außer einem einzigen, nämlich Gott«), in die Nähe Gottes, ja setzte beide gleich (»ich und der Vater sind eins«).
Wusste sich Jesus allein zu seinen jüdischen Zeitgenossen gesandt, so erweiterte sich das Blickfeld der Kirche rasch gewaltig.
Zur aramäisch sprechenden Urkirche stießen bald griechischsprachige Juden – die den Mann aus Nazareth nicht einmal persönlich
kannten – und trugen die christliche Botschaft zu den Heiden. Ihr berühmtester Schüler und einstiger Verfolger, der Expharisäer
Paulus, |22| »sah«, ebenso wie die engsten Jesusjünger vor ihm, den Auferstandenen und fühlte sich von diesem zum Apostel der Heiden berufen.
Dieser jüdische Gelehrte gab der Heidenmission den entscheidenden Impuls, indem er sie im großen Stil organisierte und schrifttheologisch
begründete. Motto: Die heilige Schrift Israels ist ein rein christliches Buch, die das Kommen Jesu und der Kirche im Voraus
angekündigt hat.
War es schon eine Tragödie, dass der historische Jesus in Jerusalem einer politischen Intrige zum Opfer fiel, so gilt das
gesteigert von der Art und Weise, wie die ersten Christen Jesu Predigt vom Gottesreich zur Lehre von der Gründung der Kirche
durch den »Auferstandenen« verfälschten. Bis heute haben sie darin fromme Nachfolger gefunden.
|23| 5. Als Johannes der Täufer Karriere machte 1
Johannes der Täufer stand in einer langen Reihe jüdischer Propheten, die zur Umkehr mahnten. Er verband die Bußforderung mit
einer Taufe zur Vergebung der Sünden und der Ankündigung, dass nach ihm ein »Stärkerer« zum Gericht kommen werde. Für die
Christen war dies Jesus, auf dessen Geburt Johannes nach den Evangelien verwies.
Als Wüstenbewohner trug der Täufer ein Kleid aus rauem Kamelhaar mit einem ledernen Gürtel. Damit erinnerte er an den Gottesmann
Elia, dessen endzeitliche Wiederkunft viele Juden erwarteten. Johannes’ Auftreten knüpfte an prophetische Traditionen an,
denen zufolge Israels zukünftiges Heil sich in der Wüste verwirklichen sollte. Massen strömten zu ihm an die Ostseite des
Jordan, nahe der Einöde am Toten Meer. Auch Jesus von Nazareth und einige seiner späteren Jünger ließen sich taufen.
Das Wirken des Johannes begann demnach vor dem öffentlichen Auftreten Jesu (ca. 30 n. Chr.). Er überlebte seinen berühmtesten
Täufling aber auch um etliche Jahre. So berichtet der jüdische Historiker Josephus von der Hinrichtung Johannes des Täufers
durch seinen Landesherrn Herodes Antipas in der Festung Machärus östlich des Toten Meers – der Evangelist Markus setzt fälschlich
die königliche Residenz in Tiberias in Galiläa als Ort der Exekution voraus – und fügt hinzu, laut jüdischer Volksmeinung
habe Gott als Rache für diese Untat das Heer des Antipas durch den Nabatäerkönig Aretas IV. vernichten lassen.
Diese Schlacht fand im Jahr 36 n. Chr. statt. Dann aber lag der Tod des Täufers dazu in unmittelbarer Nähe. Hiergegen kommen
die ersten drei Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) nicht an; |24| ihnen zufolge gehören Johannes’ Gefangennahme und Tod ungefähr ins Jahr 28 n. Chr., also in die Zeit vor dem Auftreten Jesu.
Doch hat diese »Chronologie« keine historische Basis und ist allein im theologischen Urteil begründet, dass Johannes der Vorläufer
Jesu sei.
Die Johannestaufe schuf im Judentum etwas Neues. Im Unterschied zu den bisher üblichen Waschungen, die nicht Sündenvergebung,
sondern kultische Reinheit bewirkten
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