Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe
in dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Nierensuppe, Zwiebelsauce und Zungenauflauf vorkamen. Zum Glück mussten wir nie als Versuchskaninchen für derartige Widerwärtigkeiten herhalten, mit Ausnahme von klumpigem Zwiebel-Tapetenkleister zum Weihnachtsbraten oder dem einen oder anderen Corned Beef, dafür zog sie es als Anleitung für die Zubereitungsdauer von Steak (eine halbe Stunde), Braten (drei Stunden) und Hackbraten (eine Stunde) zurate.
Eine kürzlich in Großbritannien durchgeführte Studie ergab, dass Menschen unter 25 Jahren keine Ahnung haben, was spotted dick , ein traditioneller Kochkuchen mit Rosinen, Presskopf und Nackenfleisch ist. Allein die Vorstellung, Innereien, Schellfischköpfe oder eine Pastete aus Eichhörnchenfleisch zu essen, war abscheulich für sie. Menschen über sechzig vergessen diese Gerichte oft nur allzu bereitwillig, weil sie für Nahrungsmittelknappheit, Frostbeulen und billigstes Fleisch beim Metzger stehen. Weiß heute noch jemand, dass man früher Blut benutzt hat, um Saucen zu binden? Und wie hieß noch mal diese gesüßte Milch mit Labpulver? Zunehmender Wohlstand und Zeitmangel haben Innereien, Schmorbraten und Desserts wie gekochten Pudding aus den Küchen der jungen Menschen vertrieben.
Oder stehen wir kurz vor einem neuerlichen Umschwung? Sind wir unser hektisches, sich stets veränderndes Leben leid? Sehnen sich unsere Mägen nach bekömmlichen, schonend zubereiteten Speisen? Brauchen wir alle eine schöne, beruhigende Tasse Tee und ein Stück lockeren Biskuitkuchen dazu? Meiner Ansicht nach wollen wir gar nicht ständig aufs Neue von Speisen stimuliert, beeindruckt oder zu Tränen gerührt werden. Manchmal brauchen wir das Einfache, Prosaische, Vorhersehbare, Verlässliche. Wo ich auch hinkomme, finde ich stets Gerichte wie gebratene Hühnerleber, den klassischen Tee für zwei in der alten Familiensilberkanne, Scones, Bratäpfel, Steak und Pommes frites. Es gibt Menschen, die sehnen sich danach, die dünnen Sommersachen bald in den Schrank hängen und sich von den flockig-leichten Gerichten verabschieden zu dürfen, damit sie endlich anfangen können, kräftige Eintöpfe zu köcheln und sich in dicke, kuschelige Winterkleider zu hüllen.
Die Wahrheit und das Gedächtnis sind kompliziert, man kann sich nicht auf sie verlassen, und häufig lassen sie einen eiskalt hängen. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was wirklich stimmt, und dem, was einem die Erinnerung sagt. Nach meiner Erinnerung sind die Kartoffeln aus dem Garten meines Vaters die leckersten, nahrhaftesten und köstlichsten Knollen, die ich je gegessen habe. Allein bei der Erinnerung an dieses kulinarische Erlebnis fangen meine Geschmacksnerven vor Sehnsucht an zu weinen. Viele, viele Jahre haben wir uns durch kartoffelaromatische Dürren gekämpft, ein Zustand lähmender Betäubung, aus dem wir erst jetzt langsam erwachen. Zum Glück haben wir mittlerweile Zugang zu verschiedensten Kartoffelsorten, einschließlich der Heritage-Kartoffeln, die nach Typ und Kochmethode, wie mehlig, fest oder vorwiegend festkochend, ausgezeichnet werden.
In meinen Zwanzigern strich und dekorierte ich alle sechs Monate ganze Häuser um, brachte hoffnungslosen männlichen Mitbewohnern Kochen und Putzen bei, schmiss riesige Dinnerpartys und kochte und kochte und kochte. Kochen und essen machte mich glücklich und diente als eine Art Therapie. Das Einkaufen, Schnippeln, Rühren und Probieren beruhigte mich. Selbst zubereitetes Essen schmeckte besser; das Allerbeste daran war jedoch die Dankbarkeit, Musik in den Ohren der künftigen Erdmutter. Ich war nie zu müde, um für andere zu kochen, denn Kochen war gleichbedeutend mit Liebe. Als Kind hatte ich aus Angst und Unsicherheit riesige Portionen verdrückt, jetzt tat ich es aus reiner Freude am Essen. Und Essen schenkte mir ebenso große Freude wie das Leben selbst. Kaum hatte ich eine Mahlzeit verspeist, plante ich auch schon die nächste. Ich überlegte, eine Laufbahn als Köchin einzuschlagen, doch meine Freunde meinten: »Was soll das? Du wirst Krankenschwester. Es gibt keine weiblichen Sterneköche.« »Gibt es doch sowieso nicht«, ist einer der Hauptgründe, weshalb Menschen über Jahre, manchmal sogar ihr ganzes Leben lang, erfolgreich dem Irrglauben anhängen, die Erde sei tatsächlich eine Scheibe, der Papst unfehlbar und der Orgasmus nichts als ein Gerücht.
Erst als ich mit Mitte zwanzig nach Kanada zog, entdeckte ich so wunderbare Zeitschriften wie
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