Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe
Rezepten und traditionellen Teezeremonien herumzudoktern, weil sie schließlich nicht comme par hazard entstanden waren, sondern eine durchaus solide gastronomische, geografische und historische Daseinsberechtigung besaßen.
»Früher gab es nur getrocknete grüne Bohnen, die perfekt zur Lammkeule passen, weil sie im Gegensatz zur Minzsauce das Aroma des Fleisches nicht übertünchen. Quel horreur !«, erklärte er.
»Aber man braucht die Säure von Essig, um das Fett aus dem Lammfleisch herauszubekommen«, wandte ich ein.
»Dann röste das Lamm doch einfach mit Zitrone und Rosmarin«, hielt er dagegen.
Als ich Frankreich 1990 wieder verließ, hielten gerade Lebensmittel wie sonnengetrocknete Tomaten, Meersalz, Quittencreme, crème brûlée , 70-prozentige Schokolade und Büffelmozzarella Einzug. Mittlerweile haben ihnen Minisalate, Quinoa, toskanischer Schwarzkohl, lila Kartoffeln, Ciabatta und Prosciutto den Rang abgelaufen. Aber eines muss ich in diesem Zusammenhang feststellen: Je routinierter ich werde, desto einfacher werden die Lebensmittel, mit denen ich umgehe. Wenn man jung ist, stehen Experimentieren und Eindruckschinden im Vordergrund, mit zunehmendem Alter hingegen geht es darum, mit dem Universum im Einklang zu stehen und das zuzubereiten, was einem die Intuition als regionaler Koch rät. Wobei »regional« das Synonym für »einfach« ist. Ihre Familie und Freunde werden Sie kein bisschen mehr lieben, wenn Sie ihnen Schneeeier nach dem Rezept von Tetuya vorsetzen, die vor Schokolade nur so strotzen. Das mag grausam sein, aber leider wahr. Lieben werden Sie sie dagegen für Nigella Lawsons Plumpudding. Und ganz besonders werden Sie sie lieben, wenn Sie auch noch aussehen wie Nigella, was ebenfalls grausam, aber wahr ist.
Das A und O beim Kochen ist, Liebe zu schenken und Menschen ein Gefühl von Behaglichkeit zu vermitteln. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen die Lösung für ein allgegenwärtiges Problem geben: Wenn es Ihnen zu peinlich ist, gute Köche zu sich zum Essen einzuladen, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie reden nicht mehr mit ihnen, oder Sie lassen etwas von einem guten Lieferservice kommen. Ihre Koch-Freunde wollen Zeit mit Ihnen verbringen. Und ich bin diese ewige »Ich kann aber nicht kochen«-Ausrede leid.
Mir ist aufgefallen, dass wir immer seltener kochen, aber immer mehr Kochbücher kaufen, Kochsendungen im Fernsehen anschauen und essen gehen. So etwas nennt man in der Psychologie Übertragung. Wir sitzen im Bett und schmökern in Kochbüchern wie in Romanen, weil uns die Zubereitung, der Geruch, die Farbe und die Tätigkeit selbst fehlen, und damit auch die Befriedigung und die Freude, die das bereitet. Bestimmt kennen Sie die Redensart: »Es gibt nichts Schöneres, als sich mit einem Buch ins Bett zu kuscheln«; nun ja, so ähnlich ist es auch mit dem Kochen: Es geht nichts über eine anständige Mahlzeit. Im Lauf der Jahre hatte ich literarische Liebesaffären mit Mark Kurlansky, Marcella Hazan, Robert Carrier und Elizabeth David, um nur einige zu nennen. Ich habe wunderbare Bücher gelesen, wie Bittersüße Schokolade von Laura Esquivel, Geständnisse eines Küchenchefs von Anthony Bourdain, Das Buch vom Salz von Monique Truong und My Year of Meat von Ruth Ozeki. Im Augenblick bin ich verliebt in Maggie Beer, High Fearnley-Whittingstall, M. F. K. Fisher und Paula Wolfert. Amüsiert habe ich mich auch sehr über den Restaurantkritiker A. A. Gill. Es ist genauso, wie er sagt: »Wenn das Essen nicht schmeckt, beschweren Sie sich. Wenn das Essen grauenhaft ist, bezahlen Sie nicht dafür.«
Die Philosophie des Essens
Essen ist die billigste und einfachste Methode, um sich und andere Menschen glücklich zu machen. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Wir scheinen zu glauben, dass Essen mehr als Glück bedeutet. Meiner Ansicht nach rangiert Sex unmittelbar dahinter auf Platz zwei, und auf Essen ist ein Quäntchen mehr Verlass. Das natürliche Verlangen sorgt dafür, dass wir beides genießen können. Nun da es italienischen Büffelmozzarella im Delikatessengeschäft gibt und man uns eingeredet hat, Strauchtomaten seien das allergrößte (wo sollten sie auch sonst wachsen?), können wir uns innerhalb von fünf Minuten in Ekstase versetzen, wenn wir Lust dazu haben. Sie brauchen nur rauszugehen, frisches Basilikum im Garten zu pflücken, die leuchtend roten Tomaten und den weißen Käse in Scheiben zu schneiden und überlappend auf einen Teller zu legen, mit
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