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Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe

Titel: Wer weiter sehen will, braucht hoehere Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peta Mathias
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American Gourmet und Bibeln wie The Joy of Cooking . Letzteres ist ein Riesenwälzer, aus dem ich gelernt habe, wie man Hollandaise- und Béarnaise-Saucen zubereitet – ohne jede Frage der Inbegriff der Kultiviertheit und meilenweit von diesem Tapetenkleister namens klassische Mehlschwitze entfernt. Eine klassische Mehlschwitze kann jeder, aber nur eine Frau wie Julia Child war fähig, eine Sauce béarnaise hinzubekommen, weil sie perfektes Timing, eine erstklassige Kochtechnik und geradezu beängstigende Mengen an Butter erfordert. Selbst wenn man sie theoretisch beherrscht, konnte sie am Schluss immer noch gerinnen, wenn man sie an einem heißen Sommertag zu lange in der warmen Küche herumstehen ließ. In Verbindung mit einem saftigen Steak oder einem Lammkotelett möchte man sich beim Geschmack der würzigen, mit Estragon verfeinerten Sauce am liebsten hinlegen und dem Schlag des eigenen Herzens lauschen. Das Gourmet Magazine mit seinen einzigartigen Fotos und den intelligenten Restaurantkritiken hat meine Liebe fürs Kochen endgültig besiegelt. Ich habe Dutzende dieser Zeitschriften durch die halbe Welt geschleppt, über dreißig Jahre lang, bis sie vergilbt, eselsohrig und mit Fettspritzern besprenkelt waren.
    Damals brach ich in Tränen aus, wenn eine Sauce gerann, ein Soufflé kein Soufflé blieb oder bei meinem Rinderfilet Wellington der Pastetenteig aufweichte. Ich bereitete verrücktes Zeug wie Alaska-Bombe zu – Eiscreme mit einer dicken Schicht Baiser, das so schnell im Ofen überbacken wird, dass das Baiser goldbraun wird und das Eis nicht schmilzt – sprich, es entsteht eine Süßspeise, die außen heiß und innen kalt ist. Haben Sie jemals eine echte Consommé selbst gemacht? Kompletter Irrsinn, aber ich fand es absolut fantastisch, das Eiweiß oben schwimmen zu sehen. Meine Schwester hat mir beigebracht, wie man Apfelstrudel backt, aber nein, ich musste ihn ja unbedingt mit einem handgezogenen Strudelteig machen und dann meinen Freunden an die Gurgel springen, wenn sie Frechheiten à la »Wieso kaufst du nicht einfach einen fertigen Blätterteig, wie deine Schwester gesagt hat?«, von sich gaben. In Montreal lernte ich Leute kennen, die ebenso essverrückt waren wie ich. Jeden Sonntag veranstalteten wir einen Zug durch die lokalen Restaurants, was besonders im Winter riesigen Spaß machte. Man fängt morgens mit einem Kaffee und einem Croissant an, geht ins nächste Restaurant, wo man sich Eier Benedict bestellt, dann, nach einem Spaziergang durch den Park, verleibt man sich eine Pasta und ein Glas Champagner ein, besucht anschließend ein Sonntagskonzert, marschiert zur nächsten Lokalität, um sich einen Kaffee und ein Stück Kuchen zu genehmigen … in jenen glücklichen Tagen aßen, aßen und aßen wir, ohne auseinanderzugehen.
    1980 zog ich nach Paris, um dort für zehn Jahre zu leben, zu lieben und zu essen. Ich entdeckte die frischen Märkte, Käse und Wein. Im 5. Arrondissement eröffnete ich ein Restaurant und machte Bekanntschaft mit völliger Erschöpfung, Anorexie und Wahnsinn. Mein französischer Ehemann Alexy, der mittlerweile tot ist, bereitete mit Vorliebe Lapsang Souchong Tee in einer weißen Porzellankanne zu und trank ihn aus hauchzarten weißen Porzellantassen. Ich möchte nicht sentimental werden, aber das ist mir wohl am deutlichsten von ihm in Erinnerung geblieben. Er benutzte nie ein Sieb, weil die umherschwimmenden Blätter das intensive Aroma bewahrten. Er brachte Stunden in den salons du thé zu, probierte verschiedene Teesorten und schwelgte in herrlichen Kuchen, müßigem Geplauder und geradezu krankhafter Zeitungslektüre. Manchmal bereitete auch ich Tee zu, aber wenn es die verkehrte Sorte war, erklärte er mir genau den Grund dafür. Manche Tees werden mit Milch getrunken, andere mit Zitrone und manche nur zu bestimmten Tageszeiten. Pfefferminztee ist ein typischer Nachmittagstee, weil er leicht und erfrischend ist und genau dann getrunken wird, wenn man entspannt und ruhig werden möchte. Aus diesem Grund hat der liebe Gott den English Breakfast Tea erfunden, den man morgens trinkt, weil er stimuliert und so viel Koffein enthält, dass er wach macht.
    Als Franzose vertrat Alexy die Ansicht, Lamm müsse grundsätzlich mit grünen Bohnen und nicht mit Süßkartoffeln, Erbsen, Kartoffelgratin oder sonst irgendeiner Neukreation serviert werden, wie eine unzivilisierte Ausländerin wie ich sie ersann. Er hielt es für ein Zeichen vulgären Kolonialismus, an den alten

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