Wer Wind sät
Taunus« zählte über 200 Mitglieder und zehn Mal so viele Sympathisanten. Es war seine Idee gewesen, kurz vor der Bürgerversammlung das Thema noch einmal ins Fernsehen zu bringen, er hatte sich um alles gekümmert, und heute Nachmittag würde es so weit sein. So viel hing davon ab! Die Gegenseite musste begreifen, dass sie es nicht nur mit einer Handvoll Spinnern zu tun hatte, sondern dass Hunderte Bürger gegen das unsinnige Windkraftprojekt waren. Jannis Theodorakis trat aus der Dusche, griff nach dem Handtuch und trocknete sich ab. Er fuhr sich kritisch über das unrasierte Kinn. Eigentlich gefiel ihm der Drei-Tage-Bart, aber vielleicht kam es bei den Fernsehzuschauern besser an, wenn er gepflegt und seriös auftrat. Nachdem er sich rasiert hatte, ging er ins Schlafzimmer und unterzog seinen Kleiderschrank einer gründlichen Inspektion. Wäre ein Anzug übertrieben? Es war Jahre her, dass er in Anzug und Krawatte zur Arbeit gegangen war, wahrscheinlich passten die Sachen überhaupt nicht mehr. SchlieÃlich entschied er sich für eine Jeans in Kombination mit einem weiÃen Hemd und einem Sakko. Seit Nika sich um den Haushalt kümmerte, waren die Schränke immer voll und alle Kleider ordentlich gebügelt. Jannis legte Hemd und Jeans auf das Doppelbett, dessen Anblick seiner guten Laune unwillkürlich einen Dämpfer versetzte. Ricky schlief nur noch auf der Couch im Wohnzimmer oder auf dem FuÃboden; sie behauptete, sie könne wegen ihrer Rückenschmerzen im Bett nicht mehr liegen. Längst ächzte sie unter dem gewaltigen Pensum, das sie sich Tag für Tag auflud, aber das würde sie niemals zugeben. Der Laden, die Arbeit im Tierheim und in der Hundeschule, die Versorgung ihrer ganzen Menagerie und die Organisation der Bürgerinitiative erforderten mehr Zeit, als sie eigentlich hatte, für ein Privatleben blieb kaum noch etwas übrig. Das Ergebnis ihrer Arbeitswut waren immer heftigere Rückenschmerzen, die sie regelmäÃig zum Chiropraktiker trieben und ihr eine, wie er argwöhnte, willkommene Ausrede boten, ihm den Sex zu verweigern.
Jannis verlieà das Schlafzimmer und ging quer durch den Flur in die Küche. Die Katzen, die schläfrig auf der Eckbank und dem Stuhl in der Sonne gehockt hatten, flüchteten sofort durch die Katzenklappe auf die Terrasse. Das Viehzeug, das Ricky in ihrer grenzenlosen Tierliebe anschleppte, ging ihm auf die Nerven. Die beiden Hunde konnte er gerade noch akzeptieren, aber die Katzen, diese arroganten Leisetreter, die überall ihre Haare hinterlieÃen, waren ihm zuwider. Sie erwiderten seine Abneigung mit stolzer Missachtung und legten offenbar so wenig Wert auf seine Gesellschaft wie er auf ihre.
Helles Sonnenlicht flirrte durch das Fenster. Ein perfekter Frühsommertag für die Dreharbeiten am Nachmittag. Jannis schenkte sich einen Kaffee ein, bestrich eines der frischen Brötchen mit Butter und Erdbeermarmelade und biss hinein. Seine ziellos kreisenden Gedanken wanderten wieder zu Nika, wie so häufig in letzter Zeit.
Zuerst waren ihm an ihr nur ÃuÃerlichkeiten ins Auge gefallen: ihre grotesken Klamotten, die unmögliche Frisur, die Eulenbrille. Nika redete wenig und war so zurückhaltend, dass er ihre Anwesenheit im Haus gelegentlich sogar vergessen hatte. Er wusste nichts über sie, und sie hatte ihn auch nicht interessiert, bis zu jenem Vorfall vor drei Wochen.
Jannis wurde heiÃ, als er sich den Moment in Erinnerung rief, der alles verändert hatte. Er hatte eine Flasche Wein für das Abendessen aus dem Keller geholt, und Nika war just in der Sekunde, als er den Weinkeller verlieÃ, aus ihrem Badezimmer gekommen â splitternackt, das feuchte Haar straff aus dem Gesicht gekämmt. Ein paar Sekunden lang hatten sie sich erschrocken angesehen, dann war er hastig weitergegangen in Richtung Treppe, eine Entschuldigung murmelnd. Keiner von ihnen hatte diese Begegnung je wieder erwähnt, aber seitdem war die Unbefangenheit weg. Nikas Anblick hatte sich unauslöschlich in sein Gehirn gefressen. Seitdem dachte er nur noch an sie, wenn er allein im Bett lag und Ricky schnarchend auf dem FuÃboden; mit jeder sexlosen Nacht wurde sein Verlangen nach ihr stärker, es hatte sich zu einer Obsession ausgewachsen, die ihn quälte und wütend machte. Sollte Ricky mit ihrer Eifersucht jemals auch nur den geringsten Verdacht schöpfen, dann war der Teufel los.
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