Wer Wind sät
anfangt.« Ihm war glasklar, dass sie genau deswegen gekommen waren. Jahrelang hatten sie jeden Kontakt gemieden, bis auf die alljährliche nichtssagende Weihnachtskarte und den pflichtschuldigen Anruf zu seinem Geburtstag, und das war ihm nur recht gewesen. Er blickte seine Söhne mit hochgezogenen Brauen an. Kleinlaut und betreten standen sie da, in ihren schicken Anzügen, neben ihren dicken Autos.
»Vater, bitte«, begann Gregor in einem unterwürfigen Tonfall, der so wenig zu ihm passte wie sein alberner Sportwagen. »Du kannst doch nicht wirklich wollen, dass wir alles verlieren, was wir uns aufgebaut haben.«
»Was geht mich das an?« Ludwig Hirtreiter nahm das Gewehr von der Schulter, stemmte es auf den Boden und stützte sich darauf. »Euch hat nie interessiert, was mit mir ist, weshalb soll mich nun interessieren, was mit euch ist?«
Vor zwei Wochen hatten sie ihn zum ersten Mal angerufen. Einfach so, hatten sie behauptet. Er war sofort misstrauisch gewesen, und das zu Recht, wie sich schnell herausgestellt hatte. Ludwig Hirtreiter wusste bis heute nicht, wie seine Söhne vom Angebot der WindPro erfahren hatten, aber dies allein war der Grund für die plötzlich wiederentdeckte Vaterliebe. Wie verzweifelt mussten sie sein, dass sie nach all der Zeit bei ihm auftauchten? Matthias war es gewesen, der die Pfaffenwiese zuerst angesprochen hatte. Auf die Phase der Nettigkeit war die der Bettelei gefolgt, eingebettet in die zögerliche Offenbarung ihrer prekären finanziellen Situation. Als auch das nicht fruchtete, appellierten sie an seine väterliche Verpflichtung. Sie waren so gut wie pleite, der eine fürchtete den Insolvenzverwalter, der andere den Gerichtsvollzieher. Beide brauchten dringend Geld, beide hatten Angst vor der Häme und dem Gespött derjenigen, die sie jahrelang mit ihrem geleasten und geliehenen Luxusleben geblendet hatten.
»War es das?« Hirtreiter musterte die beiden Männer, die ihm gleichgültig geworden waren. Er hegte keine Gefühle mehr für sie, weder gute noch böse. »Ich habe zu tun.«
Er schulterte das Gewehr und wandte sich zum Gehen.
»Warte noch, Vater, bitte!« Matthias machte einen Schritt auf ihn zu. In seinen Augen lag keine Ãberheblichkeit mehr, nur noch nackte Verzweiflung. »Wir verstehen nicht, weshalb du dich so sehr gegen den Verkauf dieser Wiese sträubst. Die bauen dir hier doch keine BundesstraÃe vor die Nase. Du hast höchstens während der Bauphase ein paar Wochen lang Krach und Dreck, und dann kommt vielleicht noch mal alle paar Tage ein Techniker vorbeigefahren.«
Er hatte nicht ganz unrecht. Es war die reinste Dummheit, das Angebot der WindPro auszuschlagen, zumal sie es noch um eine weitere Million erhöht hatten. Aber wie zum Teufel stand er dann vor den anderen da, die auf sein Wort vertrauten? Heinrich würde nie wieder mit ihm reden! Wenn er die Wiese verkaufte, war der Windpark nicht mehr zu verhindern, alles wäre umsonst gewesen.
Matthias deutete das Schweigen seines Vaters offenbar als Etappensieg.
»Es tut uns beiden wirklich leid, was damals vorgefallen ist«, setzte er nach. »Wir haben viele dumme Sachen gesagt und dich verletzt. Das lässt sich nicht mehr ungeschehen machen, aber vielleicht können wir einen neuen Anfang schaffen. Als Familie. Deine Enkel würden ihren Opa wirklich gerne öfter sehen.«
Ein plumper Manipulationsversuch.
»Das ist eine wirklich schöne Geste von dir«, erwiderte Ludwig Hirtreiter. Er sah die Hoffnung in den Augen seines Jüngsten aufglimmen und zerstörte sie mit Wonne. »Aber sie kommt leider zu spät. Ihr seid mir egal, alle beide. Lasst mich in Ruhe, wie ihr es zwanzig Jahre lang getan habt.«
»Aber Vater«, demütigte Gregor sich in einem letzten, verzweifelten Versuch. »Wir sind doch deine Kinder, und wir â¦Â«
»Ihr wart eine Episode in meinem Leben, mehr nicht«, schnitt Ludwig Hirtreiter ihm das Wort ab. »Ich verkaufe die Wiese nicht. Ende der Diskussion. Und jetzt verschwindet von meinem Hof.«
*
Die Mitarbeiter des Erkennungsdienstes hatten unter der Regie von Kriminalhauptkommissar Christian Kröger das Kommando übernommen. In ihren weiÃen Overalls mit Kapuze und Mundschutz erledigten sie routiniert die Tatortarbeit, machten Fotos und suchten, sicherten und nummerierten jede Spur, die sich später als tatrelevant herausstellen
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