Wer Wind sät
konnte. Eine mühsame, zeitraubende Arbeit, für die Pia die Geduld gefehlt hätte. Zwei Beamte waren damit beschäftigt, die Edelstahlhandläufe der Brüstungen in allen drei Stockwerken mit RuÃpulver zu bestäuben, um Fingerabdrücke zu nehmen. Pia hielt dies für sinnlos, da täglich wohl Dutzende von Personen ihre Hände auf das Geländer legten, aber sie behielt ihre Meinung für sich, um bei Kröger nicht gleich am ersten Tag nach dem Urlaub in Ungnade zu fallen.
Die Menschenmenge hatte man inzwischen vor die Tür ins Freie verbannt, auch Frau Weidauer war verschwunden. Es herrschte eine fast weihevolle Stille, nur unterbrochen vom Klicken der Fotoapparate.
»Hi, Christian«, begrüÃte Pia den Leiter des Erkennungsdienstes. Er und Henning knieten auf dem Treppenabsatz neben der Leiche, gänzlich unbeeindruckt von Gestank und surrenden Fliegenschwärmen.
»Hi, Pia«, erwiderte Kröger ohne aufzublicken. »Schau mal, was der Herr Rechtsmediziner gefunden hat.«
Pia und Cem Altunay traten näher. Dr. Henning Kirchhoff und Christian Kröger arbeiteten seit Jahren immer wieder zusammen und trafen sich regelmäÃig an Schauplätzen von Mord und Totschlag, dennoch herrschte zwischen ihnen keine Sympathie, im Gegenteil: Sie zollten der Fachkompetenz des anderen widerwilligen Respekt, konnten sich darüber hinaus aber nicht ausstehen.
»Da.« Henning ergriff die rechte Hand des Toten, die zu einer Faust geballt war, und bog die Finger auseinander. »Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist das, was er da in der Hand hält, ein Stück von einem Latexhandschuh.«
»Ja und?« Pia schüttelte begriffsstutzig den Kopf. »Was soll das bedeuten?«
»Es kann natürlich möglich sein, dass der Mann aus reiner Gewohnheit mit einem Stück Latexhandschuh in der Hand seine nächtlichen Runden gedreht hat, als eine Art Fetisch vielleicht«, entgegnete Henning in jenem oberlehrerhaften Tonfall, der Pia zur WeiÃglut zu bringen vermochte. »Da habe ich schon ganz andere Sachen erlebt. Du erinnerst dich an den Bankdirektor vor ein paar Jahren, der sich in seinem Büro aufgehängt hatte. Der den BH seiner Mutter â¦Â«
»Ich erinnere mich«, unterbrach Pia ihn ungeduldig. »Was hat das mit dem Toten hier zu tun?«
»Nichts«, räumte Henning ein. »Das mit dem Latexhandschuh mag etwas dünn sein. Aber was haltet ihr hiervon?«
Er richtete sich auf und bedeutete Pia und Cem, ihm die Treppe hinauf zu folgen. Etwa fünf Stufen oberhalb des Absatzes blieb er stehen und wies auf einen etwa handtellergroÃen Fleck in einer getrockneten Blutlache auf dem grauen Granit.
»Das hier«, sagte er, »ist unzweifelhaft der Teil eines Schuhabdrucks. Allerdings nicht von Grossmanns eigenem Schuh.«
Pia betrachtete den unscheinbaren Fleck. Konnte das der Beweis dafür sein, dass Grossmann getötet worden war?
Unten in der Halle lehnte Stefan Theissen am Empfangstresen und telefonierte mit gesenkter Stimme, dabei verfolgte er das Treiben auf der Treppe aufmerksam, aber ohne sichtliche Gemütsregung.
»Chef!« Ein Kollege der Spurensicherung beugte sich über die Brüstung im dritten Stock. »Komm mal rauf!«
Christian Kröger machte sich auf den Weg in den dritten Stock, wobei er sich auf der Treppe ganz links hielt, um keine Spuren zu zerstören.
»Wir sind fertig mit der Leiche. Du kannst sie abholen lassen«, sagte Henning zu Pia, zog den Overall aus und faltete ihn sorgfältig zusammen.
»Gut. Ich lasse sie zu dir bringen. Die Genehmigung für eine Obduktion sollte eine Formsache sein.«
»Hoffentlich. Die Staatsanwaltschaft wird ja immer geiziger.« Er schloss seine Koffer und streifte sich sein Jackett über. »Der Urlaub hat dir übrigens gutgetan. Du siehst erholt aus.«
»Danke«, sagte Pia, gleichermaÃen verblüfft und erfreut über diese beiläufige ÃuÃerung, die aus Hennings Mund ein echtes Kompliment war. Hätte er es dabei belassen, so wäre es eine jener raren Begegnungen mit ihrem Exmann gewesen, die ihr positiv im Gedächtnis bleiben würde. Aber Henning, der nur bei seiner Arbeit, nicht aber im Umgang mit seinen Mitmenschen Fingerspitzengefühl an den Tag legte, zerstörte den Eindruck umgehend.
»Ich freue mich für dich, dass du jemanden gefunden hast, der dir ein bisschen mehr bietet,
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