Wer zweimal stirbt, ist laenger tot
nicht anders zu erwarten.«
Zum Glück kicherte sie, dann machte sie kehrt und schickte sich an, die Treppe zu erklimmen. Die nicht schwangere Jessica war spindeldürr gewesen und hatte Nagellacke in Farben wie Day-Glo Orange oder Aged Chartreuse vorgezogen (welcher, falls Sie es unbedingt wissen möchten, wie getrocknetes Erbrochenes auf einem Nagelbett aussieht). Die schwangere Jessica war keineswegs spindeldürr. Eher das absolute Gegenteil. Wie sollte man das bloß bezeichnen – saudick? Und sie mied seit Beginn der Schwangerschaft chemische Stoffe wie die Pest. Alle chemischen Stoffe! Was ja ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Sie ging zum Beispiel nicht mehr zum Friseur (oder in Sushi-Restaurants … als würden zigtausend Japanerinnen kein Sushi essen, wenn sie schwanger waren), was für mich persönlich eine Katastrophe darstellte. Sie benutzte natürliche Deodorants (die überhaupt nichts brachten) und natürliche Haarpflegeprodukte (die ihr das Aussehen eines wütenden Rastas verliehen), und wenn ich mich erdreistete, eine fötusfreundliche Schönheitsmassage vorzuschlagen, schlug sie mir die Tür vor der Nase zu (bildlich gesprochen). Das nervte beträchtlich. Wer geht schon gern allein zum Friseur? Wie langweilig. Wenn Marc noch hier wäre, würde er nur zu gern …
Ich verbot mir jeden Gedanken an Marc.
Mit meiner toten Katze im Arm stieg ich hinter Jessica die Treppe hoch. Wenn ich klüger oder netter wäre, dann hätte ich so etwas gedacht wie: Zu traurig, dass die Katze den Löffel abgegeben hat! Aber bald wird Jessicas Kind geboren, und aus Tod entsteht neues Leben, der Kreislauf des Lebens hat sich geschlossen, hakuna matata und so weiter …
Aber ich bin weder klug noch nett, deshalb dachte ich: Hören diese Tiefschläge denn gar nicht mehr auf? Keiner nimmt auf meine Gefühle Rücksicht, wenn er den Löffel abgibt und auf der Kellertreppe stirbt. Und sobald ich die erste bekackte Windel zu sehen kriege, werde ich mein letztes bisschen Verstand verlieren.
Trotzdem: Wenn unsere Rollen vertauscht gewesen wären, hätte ich gewollt, dass Giselle mich begräbt. Moment mal … Das würde ich ganz bestimmt nicht wollen, denn meistens weiß ich doch gar nicht, dass ich wirklich tot bin. Ich wache schreiend auf einem Autopsietisch auf oder verschlafe den jährlichen Schlussverkauf von Macy’s, also kann ich mich auch nicht darauf verlassen, dass eine Katze weiß, wann ich wirklich tot bin. Scheiße, nicht einmal diese dämlichen Leichenbeschauer hatten das gewusst. Es ist grässlich, wenn man so etwas weiß: Zwei amtliche Leichenbeschauer in Chicago waren nicht in der Lage gewesen, meinen Tod festzustellen.
Abgesehen davon waren unsere Rollen ja nicht vertauscht. Und ich konnte heulen und mit den Zähnen knirschen, bis die Sonne aufging und unterging und erneut aufging – es blieb dennoch meine Pflicht, meine Katze zu begraben.
Als Jessica mir einen vergilbten Kissenbezug besorgt hatte, stopfte ich Giselle hinein und begab mich hinaus in die klirrende Novemberkälte, wo ich nach einer höheren Bedeutung für den ganzen verrückten Scheiß suchte, der mir zugestoßen war, seit Giselle mich vor Jahren hopsgehen ließ. Außerdem suchte ich eine Schaufel. Und nach dieser widerlichen Arbeit würde ich mich auf die Suche nach einem Smoothie mit Alk machen.
Ach, wie glamourös das Leben einer Vampirkönigin doch war!
3
Alle Schuppen riechen gleich. Auch wenn ich nicht alle Schuppen der Welt kenne, darf ich das guten Gewissens behaupten. Sie riechen nach Erde und Farbe, nach gemähtem Gras und Mäusedreck. Als ich aus dem Haus in die rasch sinkende Dämmerung von Minnesota im Spätherbst trat, trottete ich um die Ecke in den Garten und begab mich in den Schuppen, wo ich meine Katze im Sack niederlegte und das Gelass zu durchwühlen begann.
Der Schuppen war so alt wie die Villa, die irgendwann um 1860 oder 1720 oder 1410 herum erbaut worden war. Und mir kam es vor, als wäre er das letzte Mal sauber gemacht worden, als Lincoln noch auf Erden wandelte.
Außerdem war der Schuppen wie alle Schuppen ein magischer Ort, denn sobald man ihn betreten hatte, kam er einem viel, viel größer vor. Wie ein Ballsaal! Ein schmutziger Ballsaal allerdings, der, wie gesagt, nach Mäusedreck roch und einen Tanzboden aus Lehm hatte. Ich wusste nicht, ob mir meine Aufgabe aufgrund meiner gesteigerten Vampir-Wahrnehmung so zuwider war oder weil ich eine so nachlässige Hausbesitzerin war. Vielleicht gab es noch einen
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