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kurz aufschaue, sehe ich, dass eine Gruppe von Kindern und Erwachsenen auf dem Bahnsteig ankommt. Eine junge Frau, mit tief ins Gesicht gezogener Baseballmütze, schiebt eins der Kinder im Rollstuhl vor sich her. Der Junge strahlt über alle Backen. Nun erkenne ich, dass die gesamte Gruppe Jacken der Make-Dreams-Come-Alive-Foundation trägt.
Wie vom Blitz getroffen muss ich an David Hasselhoff alias Michael Knight denken. Mein TV-Held als Achtjähriger hatte eine ähnliche Organisation stets aktiv unterstützt. Er und sein Wunder-Auto K.I.T.T. halfen dabei, so manchem sterbenskranken Kind einen letzten Herzenswunsch auf Erden zu erfüllen.
Als unwissender Bub hatte man den perversen Traum, auch so elend krank zu sein, auf dass man einmal mit diesem Auto fahren dürfe. Wenn man älter ist, wird einem jedoch bewusst, dass der schwarze Pontiac Firebird Trans Am nicht wirklich sprechen kann sowie Unmengen an Sprit verbraucht und dass sterbenskrank zu sein kein Zuckerschlecken ist.
Zudem … wer würde heute noch sein Kind mit dem oftmals besoffenen The Hoff fahren lassen? Ich jedenfalls nicht! Seit seiner Teilnahme an Promi Big Brother ist er ganz unten angelangt.
In meinem Hörgang spielen U2 justament ihren Song Grace – der Tag könnte nicht schöner sein. Überall fröhliche Menschen. Kein Wässerchen könnte mich trüben und da kommt zudem die Bahn! Mit sich verlangsamender Geschwindigkeit bleibt sie unter lautem Quietschen stehen.
Beim Einsteigen merke ich, dass die Frau und der Junge im Rollstuhl Probleme haben, in den Zug zu gelangen. Ich nähere mich der Gruppe und stelle am hessischen Dialekt eines der Kinder fest, dass es sich hier um Deutsche handelt.
»Ei horsche mal. Dess muss doch schneller gehe. Da sach mir doch einer, warum keiner helffe kummt«, sagt ein circa neunjähriger Knirps, der seine Glatze scheinbar als Erinnerung an eine Chemotherapie und nicht als Fashionstatement trägt.
Auch andere Mitglieder der Gruppe tuscheln in den verschiedensten deutschen Dialekten: Schwäbisch, Kölsch, Bayerisch. Ich komme mir vor wie bei einer kleinen Deutschland-Rundfahrt – mitten in London.
Endlich komme ich dazu, der auf dem Boden knienden Frau mit dem Rollstuhl zu helfen. Mit all ihrer Kraft versucht sie, die – scheinbar blockierten – Räder zu bewegen.
»Warten Sie, ich mache das schon!«
Mit einem kräftigen Zupacken beider Hände hieve ich das kleine Gefährt letztendlich in die Bahn.
»Vielen Dank!«, höre ich als Antwort einer sehr freundlichen, aber müde klingenden Frau. Sie dreht sich sofort mit dem Rücken zu mir und bittet ihre Reisegesellschaft, sich schleunigst in den Zug zu setzen.
Ich habe Glück und finde sofort einen Sitzplatz in dem überfüllten Waggon. In meiner unmittelbaren Nähe hat sich der kleine Rollstuhlfahrer platziert. Ich nutze die Gelegenheit und arbeite weiter an meiner Zeichnung.
Mit einem Lächeln spricht der blonde Junge mich an: »Danke für vorhin. Ich bin der Henni. Wo kommste denn her? Weißte, wir sind extra aus Hamburg angereist. Da ist unsere Organisation zuhause!«
Stolz wie Oskar zeigt er auf das Emblem seiner Jacke.
»Ich bin Andy … komme aus Aachen … westlichste Stadt Deutschlands«, grinse ich den – von Neugier beseelten – Jungen an, der es soeben riskiert, ein Auge auf meinen Zeichenblock zu werfen.
»Mensch. Hübsche Frau, die du da zeichnest – kommt mir irgendwie bekannt vor … aus Aachen kommst du? Er dreht sich zu dem winzigen Hessen ohne Haarwuchs von vorhin, der sich mittlerweile zu ihm gesetzt hat. »Gerd, sag mir doch: Kam nicht einer von unserem Verein hier aus Aachen?«
Gerd überlegt.
»Ich weiß nimmer so genau. Ei horsche mal. Ich frag die Daniela«, sagt der unfreiwillige Imitator von Heinz Schenk. Er tippt einem Mädchen auf den Kopf und fragt diese, wer denn aus meiner Heimatstadt stamme.
Das Mädchen kommt zu Wort: »Aachen. Hmmm. Keine Ahnung. Müssen wir vielleicht das Klößchen fragen?«
Das Klößchen ?
Was ist das denn für ein Spitzname? Die besten vergebe doch immer noch ich: Moss Man, Colonel Scatman, Prinzessin Lea, Slip-Perry – zu viele, um sie alle zu behalten.
Nun kommt auch die weibliche Begleitung der Kinder endlich in den Zug. Sie setzt sich neben Henni. Sie holt tief Luft und kramt gedankenverloren mit nach vorne gebeugtem Kopf in ihrer Handtasche. Der Schirm ihrer Mütze verdeckt ihr Gesicht.
Der kleine Rollstuhlfahrer spricht die Frau an und zupft dabei am Ärmel ihrer
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