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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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ausgelernt hast, mußt du auch, wie ich dir immer gesagt habe, auf der Erde etwas wirken – es sei, was es wolle, ich rede dir da nichts ein, aber gut muß es sein, und so viel, daß es einer Rede wert ist, wenn man einmal abends bei seinem eigenen Ofenfeuer beisammen sitzt, hörst du, Veit! – Dann kannst du in dein Haus zurückkommen, es trägt schon so viel, daß davon ein strenger Mann leben kann, und sein Weib auch, und eine Handvoll Kinder auch noch und mancher Gast dazu, der zu dir übers Gebirge steigt. So – jetzt geh und lasse den gesattelten Rappen nicht zu lange warten, ich konnte das nie leiden, mein Bruder, der Franz, dein Oheim, hat es immer getan, darum haben sie ihn auch bei Karlowitz niedergeschossen, weil er wieder zu spät aufgebrochen ist, wie sonst. Schreib oft, Veit, wenigstens jeden Monat einmal, und vergiß mich nicht, und sei kein Narr, wenn du einmal hörst, daß ich gestorben bin.«
    Nach diesen Worten stand der Knabe, der schon wußte, daß er jetzt fort ziehen werde, und bereits dazu vollkommen ausgerüstet war, auf und ging an der Hand des Vaters, der ihn führte, aus dem Hause hinaus. Sie gingen rückwärts durch den Garten und an den Blumenbeeten entlang. Der Rappe stand am Gitter, von dem traurigen Knechte gehalten. Der alte Krieger wollte grimmig darein schauen, um sich selber zu Hilfe zu kommen; aber wie er dem Sohne, der bisher stumm und standhaft den Schmerz nieder gekämpft hatte, die Hand gab, und nun sah, daß dessen gute, junge und unschuldige Augen plötzlich voll Wasser anliefen, so kam auch in die starren, eisengrauen Züge des alten Mannes ein so plötzliches Zucken, daß er es nicht mehr zurück halten konnte. Er sagte nur die ganz verstümmelten Worte: »Dummer Hasenfuß«, und kehrte sich um, indem er heftig mit den Armen schlagend in den Garten zurück ging. Hugo sah es nicht mehr, wie der verlassene Mann, um sich seinem Anblicke zu entziehen, in die allererste Laube hinein ging und dort die Hände über dem Haupte zusammen schlug: sondern er ließ sich von dem Knechte den Steigbügel halten, schwang sich auf und ritt mit fester Haltung den Berg hinab, weil er meinte, der Vater sche ihm nach; aber als er unten angekommen war und die Haselgesträuche ihn deckten, ließ er dem Herzen Luft und wollte sich halb tot weinen vor ausgelassenem Schmerze. Er hörte noch das Dorfglocklein klingen, wie es in die Frühmesse läutete, und neben ihm rauschte das grüne, klare Wasser des Gebirgsbaches. Das Glöcklein klang, wie es ihm zwanzig Jahre geklungen, der Bach rauschte, wie er zwanzig Jahre gerauscht – und beide Klänge gossen erst recht das heiße Wasser in seine Augen.
    »Ob es denn«, sagte er gleichsam halblaut zu sich, »in der ganzen Welt einen so lieben Ort und einen so lieben Klang geben könne, und ob ich denn nur noch einmal in meinem Leben diesen Klang wieder hören werde!«
    Das Glöcklein hörte endlich auf, nur der Bach hüpfte neben ihm her und rauschte und plauderte fort.
    »Grüße mir den Vater und das Grab der Mutter,« sagte er, »du liebes Wasser.«
    Aber er bedachte nicht, daß ja die Wellen nicht zurückflossen, sondern mit ihm denselben Weg hinaus in die Länder der Menschen gingen. – –
    Fuhrleute mit krachenden Wägen begegneten ihm auf der Straße, der graue Gebirgsjäger mit dem Gemsbarte ging über den Weg. Herdenglocken klangen, der Tau glänzte auf den Bergen – Hugo ritt langsam aus einem Tale in das andere, und aus jedem derselben kam ihm ein Bächlein nach, und alle vereinten sich und zogen als größerer Bach mit ihm des Weges weiter – der Himmel wurde immer blauer, die Sonne immer kräftiger, und das Herz des Reisenden mit. Nachmittags, als ihm die straffe Gebirgsluft schon längst die letzte Träne von dem Auge getrocknet hatte und seine Gedanken schon weit und breit wieder ihre Wege gingen, dauerte doch noch eine gewisse Weichheit und Sehnsucht fort, die ihm sonst fremd gewesen waren. Er suchte daher, als er seine erste Nachtherberge erreicht hatte, sogleich sein Lager, und entschlummerte todmüde, während in seinen Ohren Heimatglocken klangen und Heimatsbäche rauschten. In der ganzen Nacht hing das Bild des abwesenden Vaters vor den zugemachten Augen.
    Desohngeachtet erwachte er am andern Morgen gestärkter und ruhiger, und jeder Tag, der da folgte, legte sein Körnlein dazu, bis er am Abende des sechsten Tages wohlgemut und staunend in die Herrlichkeit der Hauptstadt einritt.
    Hier wußte er nun nicht, was er gleich

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