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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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eingestaubten Locken und dem lieblichen Angesichtchen, dessen Schatten ganz besonders rein und durchsichtig waren, sich gut abhoben.
    »Es ist in der adeligen Schule die närrische Sitte gewsen,« sagte der Oheim, »daß alle Zöglinge zum Andenken abgebildet und in solchen runden Schildern mannigfaltig bald in Gängen, bald in Vorsälen und gar in Zimmern aufgehängt wurden. Die Rahmen kauften sie sich selber dazu. Dein Vater ist immer eitel gewesen und ließ sich malen. Ich war viel schöner als er, und saß nicht. Als die Schule einging, kaufte ich das Bild hieher.«
    Victor, der sich seines Vaters so wie seiner Mutter gar nicht mehr erinnern konnte, da sie ihm beide, zuerst die Mutter und sehr bald darauf der Vater, in frühester Kindheit weggestorben waren, stand nun vor dem Bilde dessen, dem er das Leben verdankte. In das weiche Herz des Jünglings kam nach und nach das Gefühl, das Waisen oft haben mögen, wenn sie, während andere ihre Eltern in Leib und Leben vor sich haben, bloß vor den gemalten Bildern derselben stehen. Es ist ein von einer tiefen Wehmut reiches und doch einen traurig süßen Trost gebendes Gefühl. Das Bild wies in eine weite, längst vergangene Zeit zurück, wo der Abgebildete noch glücklich, jung und hoffnungsreich gewesen war, so wie der Betrachter jetzt noch jung und voll der unerschöpflichsten Hoffnungen für diese Welt ist. Victor konnte sich nicht vorstellen, wie vielleicht derselbe Mann später in dunklem, einfachen Rocke und mit dem eingefallenen, sorgenvollen Angesichte vor seiner Wiege gestanden sein mag. Noch weniger konnte er sich vorstellen, wie er dann auf dem Krankenbette gelegen ist, und wie man ihn, da er tot und erblaßt war, in einen schmalen Sarg getan und in das Grab gesenkt habe. Das alles ist in eine sehr frühe Zeit gefallen, wo Victor die Eindrücke der äußeren Welt noch nicht hatte, oder dieselben nicht für die nächste Stunde zu bewahren vermochte. Er sah jetzt in das ungemein liebliche, offene und sorgenlose Angesichtchen des Knaben. Er dachte,wenn er noch lebte, so würde er jetzt auch alt sein wie der Oheim; aber er konnte sich nicht vorstellen, daß der Vater dem Oheime ähnlich sehen würde. Da er noch lange stand, keimte in ihm der Entschluß, wenn er überhaupt mit dem Oheime auf einen bessern Fuß zu stehen käme, als er jetzt stand, daß er ihm die Bitte vortragen wolle, ihm das Bild – zu schenken, denn dem Oheime könne ja so viel nicht daran gelegen sein, da er es in diesem ungeordneten Zimmer ganz allein auf der Wand hängen und den vielen Staub auf dem Rahmen liegen lasse.
    Der Oheim stand indessen an der Seite und sah das Bild und den Jüngling all. Er hatte keine sonderliche Teilnahme gezeigt, und wie Victor die erste Bewegung machte, sich von dem Bilde zu entfernen, ging er gleich voran, um ihn aus den Zimmern zu führen, wobei er weder von dem Bilde noch von dem Vater etwas anders sagte als die Worte: »Es ist eine erstaunliche Ähnlichkeit.«
    Als sie wieder in das Tafelzimmer gekommen waren, schloß er sorgfältig die Tapetentür, und begann, auf die gewöhnliche Weise in dem Gemache herum zu gehen und in den herum liegenden und stehenden Sachen zu greifen, zu stellen und zu ordnen, woraus Victor aus Erfahrung erkannte, daß er jetzt vor der Hand nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle.
    Er beschloß daher, wieder auf die Insel hinunter zu gehen. Die Treppentür war abermals geschlossen. Victor wollte nicht zu dem Oheime gehen, daß er ihm öffne, sondern er dachte an den Kasten, in welchen gestern das alte Weib mit den Schalen hinein gegangen war, und vermutete, daß durch denselben ein Ausweg sein müsse. Er fand den Kasten bald, öffnete ihn und sah wirklich abwärts führende Stufen, die er einschlug. Allein er gelangte auf denselben nicht in das Freie, sondern in die Küche, in welcher er niemanden traf als das alte Weib, welches mit der Herrichtung der vielen verschiedenen Dinge beschäftigt war, die zu dem Mittagsmahle gehörten. Nur noch ein jüngeres, beinahe blödsinnig aussehendes Mädchen unterstützte sie hiebei. Victor fragte das Weib, ob sie ihn nicht in den Garten hinaus lassen könne.
    »Freilich«, sagte sie, führte ihn dieselbe Treppe hinauf, die er herunter gekommen war, und holte den Oheim heraus, welcher sofort öffnete und den Jüngling hinaus ließ.
    Victor erkannte nun, daß die Holztreppe der einzige Ausgang sei, und daß man den mit solchem Mißtrauen geschlossen halte, obwohl das Ganze ohnehin mit einer

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