Werke
undurchdringlichen Mauer umgeben sei.
Der Tag verging wie der gestrige. Victor kam um zwei Uhr zum Mittagsessen und ging dann wieder fort. Gegen Abend ereignete sich etwas Ungewöhnliches. Victor sah ein Schiff gegen die Insel kommen und gerade gegen das Wasserbohlenwerk zu fahren, das er gestern entdeckt hatte. Victor lief eilig die Treppen zum Wasserhause hinab. Das Schiff kam herzu, das Bohlentor wurde von außen mit einem Schlüssel geöffnet, und der alte Christoph fuhr ganz allein in einem Kahne herein. Er hatte Lebensmittel und andere Bedürfnisse geholt und war deswegen in der Hul und in Attmaning gewesen. Victor begriff nicht, da er die Ladung sah, wie der alte Mann diese Menge Dinge herbei geschafft und über den See gerudert habe. Auch war ihm leid, daß ihm die Abfahrt des alten Dieners nicht bekannt gewesen sei, weil er ihm einen Brief mitgegeben hätte, der an die Mutter laufen sollte. Christoph fing an, die Dinge auszuladen und die verschiedenen Fleischgattungen mit Hülfe des blödsinnigen Mädchens auf einer Tragbahre in die Eisgrube zu tragen. Victor sah hiebei ein ganz niederes eisernes Türchen an der Hinterseite des Hauses öffnen. Als er über die Treppen hinter dem Türchen hinab ging, erblickte er im Scheine der Laterne, die man dort angezündet hatte, eine gewaltige Last Eises, auf der allerlei Vorratsdinge herum lagen, und die eine fürchterliche Kälte in diesem Raume verbreitete. In später Dämmerung war die Arbeit des Ausladens vollendet.
Der dritte Tag verging wie die ersten zwei. Und es verging der vierte, und es verging der fünfte. Drüben stand immer die Grisel, rechts und links standen die blaulichen Wände, unten dämmerte der See, und mitten leuchtete das Grün der Baumlast der Insel, und in diesem Grün lag wie ein kleiner grauer Stein das Kloster mit dem Hause. Der Orla ließ manches blaue Stück durch die Baumzweige darauf nieder schimmern.
Victor war bereits an allen Stellen der Einfassungsmauer gewesen, auf allen Bänken des Sandplatzes oder Gartens war er gesessen, und auf allen Vorgebirgen des Ufersaumes des eingefaßten Platzes war er gestanden.
Am sechsten Tage konnte er es nicht mehr so aushalten, wie es war, und er beschloß, der Sache ein Ende zu machen.
Er kleidete sich früh morgens sorgfältiger an, als er es gewöhnlich tat, und erschien so bei dem Frühstücke. Nachdem dasselbe vorüber war und er schon neben dem Oheime in dem Zimmer stand, sagte er: »Oheim, ich wünschte mit Euch etwas zu reden, wenn Ihr nämlich Zeit habt, mich anzuhören.«
»Rede«, sagte der Oheim.
»Ich möchte Euch die Bitte vortragen, mir in Gefälligkeit den Grund zu eröffnen, weshalb ich auf diese Insel kommen mußte, wenn Ihr nämlich einen besonderen Grund hattet; denn ich werde morgen meine Abreise wieder antreten.«
»Die Zeit bis zur Übernahme deines Amtes dauert ja noch über sechs Wochen,« antwortete der Oheim.
»Nicht mehr so lange, Oheim,« sagte Victor, »nur noch fünfunddreißig Tage. Ich möchte aber noch einige Zeit, bevor ich in das Amt trete, in mein zukünftigen Aufenthaltsorte zubringen, und möchte deshalb morgen abreisen.«
»Ich entlasse dich aber nicht.«
»Wenn ich Euch darum bitte, und wenn ich Euch ersuche, mich morgen oder, wie es Euch gefällig ist, übermorgen in die Hul hinüber führen zu lassen, so werdet Ihr mich entlassen«, sagte Victor bestimmt.
»Ich entlasse dich erst an dem Tage, an dem du notwendig abreisen mußt, um zu rechter Zeit bei deinem Amte eintreffen zu können«, erwiderte hierauf der Oheim.
»Das könnt Ihr ja nicht«, sagte Victor.
»Ich kann es wohl«, antwortete der Oheim; »denn die ganze Besitzung ist mit einer starken Mauer umfangen, die noch von den Mönchen herrührt, die Mauer hat das Eisengitter zum Ausgange, das niemand anderer als ich zu öffnen versteht, und der See, welcher die fernere Grenze macht, hat ein so steiles Felsenufer, daß niemand zu dem Wasser hinunter kommen kann.«
Victor, der von Kindheit an nie die kleinste Ungerechtigkeit hatte dulden können, und der offenbar das Wort ›können‹ im sittlichen Sinne genommen hatte, wie es sein Oheim im stofflichen nahm, wurde bei den letzteren Worten im ganzen Angesichte mit der tiefsten Röte des Unwillens übergossen und sagte: »So bin ich ja ein Gefangener?«
»Wenn du es so nennst und meine Anstalten es so fügen, so bist du einer«, entgegnete der Oheim.
Victors Lippen bebten nun, er konnte vor Erregung kein Wort sagen – dann aber rief er
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