Werke
Victor hinaus, zog einen Schlüssel aus seinem grauen Rocke und schloß damit die Tür der Holztreppe auf, die er hinter dem Jünglinge sogleich wieder versperrte.
Dieser lief die Treppe auf den Sandplatz hinab. Da hier die Flut des Lichtes seinen erfreuten Augen entgegen schlug, wendete er sich ein wenig um, um das Haus von außen zu betrachten. Es war ein festes dunkles Gebäude mit dem einzigen Geschosse, in welchem er die heutige Nacht geschlafen hatte. An den offenen Fenstern erkannte er seine Zimmer. Denn alle andern waren zu und prangten vielfach mit den schönen Farben der Verwitterung. Sie standen sämtlich hinter festen, starken Eisengittern. Das Haupttor war verrammelt, und die hölzerne überdeckte Treppe zu dem Sandplatze herab schien der einzige Eingang zu sein. Wie war das anders als zu Hause, wo Fenster an Fenster offen stand, weiße, sanfte Vorhänge wehten, und man von dem Garten aus das lustige Küchenfeuer flackern sehen konnte.
Victor wendete seine Augen nun gegen den freien Platz, der vor dem düsteren Hause weg ging. Er war das Freundlichste dieser Umgebung. Hinten an den Seiten des Hauses hatte er hohe Bäume, dann war er mit Sand bestreut, hatte hie und da ein Bänklein, mehrere Blumenstellen, und lief gegen den See in einen wirklichen Blumengarten und dann in Gebüsch aus. Zu beiden Seiten waren Bäume und Gesträuche. Victor ging auf diesem Platze herum, und Luft und Sonnenschein taten ihm sehr wohl.
Dann aber strebte er weiter, um die Dinge hier zu sehen. Eine uralte Lindenallee war ihm aufgefallen, die von dem Gebäude des Oheims weiter führte. Die Bäume waren so hoch und dicht, daß der Boden unter ihnen feucht war und das Gras sich mit dem schönsten, zartesten Grün färbte. Victor ging in der Mitte dieser Allee fort. Er gelangte zu einem andern Gebäude, dessen hohes, breites Tor verschlossen und eingerostet war. Über dem Bogen des Tores standen die steinernen Zeichen geistlicher Hoheit, Stab und Inful, nebst den andern Wappenzeichen des Ortes. Am Fuße des Bogens und des ganzen Holztores war weiches, dichtes Gras, zum Zeichen, daß hier lange kein menschlicher Tritt gewandelt war. Victor sah, daß er durch diese Pforte nicht in das Gebäude kommen konnte, er ging daher an demselben außen entlang und betrachtete es. Das Mauerwerk war ein aschgraues Viereck mit fast schwarzem Ziegeldache. Die überwuchernden Bäume der Insel waren hoch darüber hinaus gewachsen. Die Fenster hatten Gitter, aber hinter den meisten derselben standen statt des Glases graue, vom Regen ausgewaschene Bretter. Es war wohl noch ein Pförtchen in dieses Haus, aber dasselbe war wie der Haupteingang verrammelt. Weiter zurück war eine hohe Mauer, welche wahrscheinlich den ganzen Zusammenhang von Gebäuden und Gärten umschloß und als Eingang das Eisengitter des Oheims hatte. In einem ausspringenden Winkel dieser Mauer lag der Klostergarten, von dem aus Victor die zwei dicken, aber ungewöhnlich kurzen Türme der Kirche erblickte. Die Obstbäume waren sehr verwildert und hingen häufig zerrissen darnieder. Einen Gegensatz mit dieser trauernden Vergangenheit machte die herumstehende blühende, ewig junge Gegenwart. Die hohen Bergwände schauten mit der heitern Dämmerfarbe aufdie grünende, mit Pflanzenleben bedeckte Insel herein, und so groß und so überwiegend war ihre Ruhe, daß die Trümmer der Gebäude, dieser Fußtritt einer unbekannten menschlichen Vergangenheit, nur ein graues Pünktlein waren, das nicht beachtet wird in diesem weithin knospenden und drängenden Leben. Dunkle Baumwipfel schatteten schon darüber, die Schlingpflanze kletterte mauerwärts und nickte hinein, unten blitzte der See, und die Sonnenstrahlen feierten auf allen Höhen ein Fest in Gold- und Silbergeschmeide.
Victor hätte recht gerne die ganze Insel durchgewandert, die nicht groß sein mußte, und die er gerne erkundschaftet hätte, aber er überzeugte sich schon, daß wirklich, wie er vermutet hatte, das ehemalige Kloster samt allen Nebengebäuden und Gartenanlagen von einer Mauer umfangen war, wenn auch oft blühende Gebüsche die Steine derselben verdeckten. Er ging wieder auf den Sandplatz zurück. Hier stand er eine gute Weile vor dem Gittertore, sah die Stäbe an und versuchte an dem Schlosse. Doch zu dem Oheime hinauf gehen und ihn bitten, daß er öffnen lasse – das vermochte er nicht, er hatte einen Widerwillen davor. Außer den zwei alten Dienern, dem betagten Christoph und der alten Frau, war es wie ausgestorben
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