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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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folgerechter Weise auch seinerseits an, den Greis näher zu beobachten und oftmals zu denken: ›Wer weiß, ob er so hart ist, und ob er nicht vielmehr ein unglücklicher alter Mann sei.‹
    So lebten die zwei Menschen neben einander hin, zwei Sprossen desselben Stammes, die sich hätten näher sein sollen als alle andern Menschen, und die sich so ferne waren wie keine andern – zwei Sprossen desselben Stammes, und so sehr verschieden: Victor das freie, heitere Beginnen, mit sanften Blitzen des Auges, ein offener Platz für künftige Taten und Freuden – der andere das Verkommen, mit dem eingeschüchterten Blicke und mit einer herben Vergangenheit in jedem Zuge, die er sich einmal als einen Genuß, also als einen Gewinn, aufgeladen hatte. In dem ganzen Hause lebten nur vier Personen: der Oheim, der alte Christoph, Rosalie, so hieß die alte Haushälterin und Köchin, und endlich das blödsinnige, auch schon alte Mädchen Agnes, welche Rosaliens Handlangerin war. Unter diesen alten Menschen und neben dem alten Gemäuer ging Victor herum, wie ein nicht hieher gehöriges Wesen. Sogar die Hunde waren sämtlich alt; die Obstbäume, die sich vorfanden, waren alt; die steinernen Zwerge, die Bohlen im Schiffhause waren alt! Nur einen Genossen hatte Victor, der blühend war wie er, nämlich die Laubwelt, die lustig in der Verfallenheit sproßte und keimte.
    Victor hatte sich schon früher öfter mit einer Tatsache beschäftigt, die ihn nachdenken machte. Er wußte nämlich nicht, wo sein Oheim das Schlafzimmer habe, und konnte es trotz aller Beobachtungen nicht entdecken. Er dachte daher, vielleicht verberge er es gar aus Mißtrauen. Einmal, da der Jüngling über die Treppe in die Küche hinab geriet, hörte er eben die Haushälterin sagen: »Er traut ja niemanden; wie könnte man ihm denn beibringen, daß er aus der Hul einen Menschen in Dienst nehme? das tut er nicht. Er rasiert sich darum selbst, daß ihm niemand den Hals abschneide, und er sperrt nachts die Hunde ein, daß sie ihn nicht fressen.«
    An diese Umstände äußerster Hülflosigkeit mußte Victor nun immer denken, und dies um so mehr, als sich gerade jetzt gegen ihn mildere Zeichen einstellten. L)ie eiserne Gittertür im Gange zu seinem Schlafzimmer wurde nicht mehr gesperrt, das Bohlentor stand zur Schwimmzeit regelmäßig offen, und zum eisernen Hauptgitter der Mauer hatte Victor statt eines Schlüssels ein Pfeifchen Von dem Oheime empfangen, auf dessen Pfiff das Gitter sich öffnete; denn es war nicht wie gewöhnlich zu sperren und zu öffnen, sondern durch eine Vorrichtung Von einem Zimmer des Oheims aus, man wußte nur nicht, von welchem.
    Die ersten ordentlichen Unterredungen zwischen den zwei Verwandten wurden durch eine seltsame Veranlassung eingeleitet, man könnte sagen: aus Neid. Da nämlich eines Abends Victor von einem Streifzuge durch die Insel, wie er sie jetzt öfters machte, in Begleitung aller vier Hunde zurückkam – auch der des Oheims; denn sie hatten sich schon länger an ihn angeschlossen und waren in seiner und des Spitzes Gesellschaft lustiger und rühriger geworden, als sie es früher gewesen waren – sagte der Oheim, der zufälliger Weise noch in dem Garten war und dieses sah: »Dein Spitz ist auch weit besser als meine drei Bestien, denen nicht zu trauen ist. Ich weiß nicht, wie sie sich so an dich hängen?«
    Dem Jünglinge, fuhren auf diese Rede die Worte, weil sie ihm so nahe lagen, aus dem Munde: »Habt sie nur lieb, wie ich den Spitz, und sie werden auch so gut sein.«
    Der Mann sah ihn mit sonderbar forschenden Augen an und sagte gar nichts auf diese Rede. Aber sie wurde der Anker, an den abends bei Tische andere Gespräche über andere Gegenstände angeknüpft wurden. Und so ging es dann weiter, und Oheim und Neffe sprachen jetzt wieder mit einander, wenn sie zusammen kamen, was namentlich bei den drei Mahlzeiten des Tages der Fall war.
    Besonders lebhaft wurde Victor einmal, da ihn der Greis zufällig oder absichtlich veranlaßte, von seiner Zukunft und von seinen Plänen zu reden. Er werde jetzt in sein Amt eintreten, sagte Victor, werde arbeiten, wie es nur seine Kraft vermag, werde jeden Fehler, den er antreffe, verbessern, werde seinen Obern alles vorlegen, was zu ändern sei, werde kein Schlendern und keinen Unterschleif dulden – in freien Stunden werde er die Wissenschaften und Sprachen Europas vornehmen, um sich auf künftige Schriftstellerarbeiten vorzubereiten, dann wolle er auch das Kriegswesen kennen

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