Werke
Ausfütterung zeigten, und wo die Laden, einst der Aufbewahrungsort der Paramente, nun Staub enthielten. Zurück gingen sie durch die Kirche, die Kreuzgänge und die Sommerabtei, wo noch manch schönes Bild, manche Holz- und Steinverzierung unberührt starrte, weil man deren Wert nicht gekannt hatte, als man die Dinge aus dieser Gotteswohnung fortschaffte.
Nicht bloß in den Gebäuden und auf der ganzen Insel durfte Victor herum gehen und alles untersuchen, sondern der Oheim bot ihm auch an, daß er ihn in einem Kahne an alle Punkte des Sees fahren lassen wolle, wohin er nur verlange. Der Jüngling hatte wenig Gebrauch davon gemacht, weil er eigentlich, der nie in dem hohen Gebirge gewesen war, nicht wußte, wie er die Schätze desselben heben soll, daß sie ihm freude- und gewinnbringend würden. Er fuhr nur selber zweimal zu dem Orla hinüber, und stand an dem Ufer und sah die hohen, grauen und zeitweise flimmernden Wände an.
Trotz allem begann sich allgemach in Victor die Reue zu regen, daß er wieder da geblieben sei; namentlich da er nicht Zweck und Ursache des ganzen Verfahrens zu ermitteln im Stande war.
»Ich werde dich doch nun bald fort lassen«, sagte der Oheim eines Tages nach dem Mittagstische, da eben ein prachtvolles Gewitter über die Grisel ging und den rauschenden Regen wie Diamantengeschosse in den See nieder sandte, daß er sich in kleinen Sprüngen regte und wallte. Sie waren aus der Ursache dieses Gewitters etwas länger bei dem Tische sitzen geblieben.
Victor antwortete auf die Rede gar nichts, sondern horchte, was ferner kommen würde.
»Es ist zuletzt doch alles vergeblich,« hob der Oheim wieder mit langsamer Stimme an, »es ist doch vergeblich – Jugend und Alter taugen nicht zusammen. Siehe, du bist gut genug, du bist fest und aufrichtig, und bist mehr, als dein Vater in diesen Jahren war. Ich habe dich die Zeit her beobachtet, und man dürfte vielleicht auf dich bauen. Du hast einen Körper, den die natürliche Kraft stark und schön gemacht hat, und du übst gerne die Kraft, sei es, daß du unter den Felsen herum gehst, oder in der Luft wanderst, oder in dem Wasser schwimmst – – aber was hilft das alles? Es ist für mich ein Gut, das weit, ja sehr weit jenseits aller Räume liegt. Mir sagte schon immer die heimliche Stimme: du wirst es nicht erreichen, daß sein Auge auf dich schaut, du wirst das Gut seines Herzens nicht erlangen, weil du es nicht gesäet und gepflanzt hast. Ich erkenne, daß es so ist. Die Jahre, die da zu nützen gewesen wären, sind nun vorüber, sie neigen jenseits der Berge hinunter, und keine Gewalt kann sie auf die erste Seite herüber zerren, auf der nun schon die kalten Schatten sind. Darum gehe nur zu dem alten Weibe, von dem du kaum mehr einen Brief erwarten kannst – gehe hin und sei dort heiter und freudig.«
Victor war im äußersten Maße betroffen. Der Greis saß gerade so, daß die Blitze in sein Antlitz leuchteten, und manchmal war es in dem dämmerigen Zimmer, als ob das Feuer durch die grauen Haare des Mannes flösse und ein rieselndes Licht über seine verwitterten Züge ginge. War dem Jünglinge früher das inhaltlose Schweigen und die tote Gleichgültigkeit an dem Manne öde und bekümmernd gewesen, so war er nun durch diese Aufregung um so ergriffener. Der Alte hatte seinen langen Körper in dem Lehnstuhle aufgerichtet, und er zeigte fast tiefe Bewegung. Eine Weile antwortete der Jüngling nichts auf die Rede des Oheims, die er mehr ahnte als verstand. Dann aber sagte er: »Ihr habt von Briefen geredet, Oheim; ich bekenne aufrichtig, daß es mich schon sehr unruhig gemacht, daß ich auf die mehreren Briefe, die ich nach Hause sandte, noch immer keine Antwort habe, obwohl Christoph schon mehr als zwanzigmal, seit ich hier bin, in der Hul und in Attmaning draußen gewesen ist.«
»Ich wußte es wohl,« antwortete der Oheim, »aber du kannst gar keine Antwort erhalten.«
»Warum denn nicht?«
»Weil ich es so eingerichtet und mit ihnen verabredet habe, daß sie dir, so lange du hier bist, nicht schreiben. Sie sind im übrigen, wenn du bekümmert sein solltest, alle wohl und gesund.«
»Das ist nicht gut, Oheim, daß Ihr das getan habt,« sagte Victor ergriffen, »die Worte, welche mir meine Ziehmutter in einem Briefe geschickt hätte, hätte ich sehr gerne empfangen.«
»Siehst du, wie du das alte Weib liebst,« sagte der Oheim, »ich habe es immer gedacht!«
»Wenn Ihr jemanden liebtet, so würde Euch wieder jemand lieben«,
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