Werke
müßig in dem Walde herum gehen. Zuweilen begleitete sie den Herrn Tiburius ein Stückchen auf dem Hügel, und machte sich gar nichts daraus, ihm zu sagen, wenn sie wieder in den Wald käme, damit sie dort zusammen träfen.
Herr Tiburius versäumte diese Gelegenheiten nicht, sie gingen mit einander herum, sie pflückte die Kräuter in ihr Körbchen, zeigte ihm manche von ihnen auf ihrem Standorte und nannte ihm die Namen derselben, wie sie nämlich in ihrer ländlichen Sprache gebräuchlich waren.
Endlich zeigte ihr Tiburius seine Zeichenbücher. Er hatte erst spät vermocht, dieses zu tun. Er schlug die Blätter auf und wies ihr, wie er manche Gegenstände des Waldes und der Wand mit feinen, spitzigen Stiften nachbilde. Sie nahm den lebhaftesten Anteil an der Sache und geriet in ein sehr großes Entzücken, daß man mit nichts als ledigen schwarzen Strichen so getreu und lieblich und wahrhaftig, als ob sie da ständen, die Gegenstände des Waldes nachbilden könne. Sie saß von nun an, wenn er zeichnete, bei ihm, schaute sehr genau zu und ließ die Blicke auf die Gegenstände und auf die Linien des Buches hin und her gehen.
Nach einer Zeit redete sie sogar schon darein und sagte oft plötzlich: »Das ist zu kurz – das steht draußen nicht so.«
Er erkannte es jedes Mal als recht, was sie sagte, nahm Federharz, löschte die Striche aus und machte sie, wie sie sein sollten.
Zuweilen begleitete er sie nach solchen Stunden zu ihrem Vater, zuweilen ging sie mit ihm bis an die Steinwand. Von seinem Wagen, und daß seine Diener auf ihn draußen warteten, sagte er ihr nichts.
So verging ein geraumer Teil des Sommers.
Eines Nachmittags, als schon längstens wieder Erdbeeren waren, als er an der Steinwand saß und zeichnete, als sie, das volle Erdbeerkörbchen neben sich gestellt, hinter ihm in den Steinen saß und zuschaute, als eine langstielige, hohe Feuerlilie neben ihnen prangte, sagte er: »Wie kommt es denn, Maria, daß du dich in dem Walde gar nicht fürchtest und daß du von dem Augenblicke an, da wir zum ersten Male zusammen getroffen sind, auch mich gar nicht gefürchtet hast?«
»Den Wald habe ich nicht gefürchtet,« antwortete sie, »weil ich gar nicht weiß, was ich fürchten sollte – ich bin von Kindheit auf da gewesen und kenne alle Wege und Gegenden, und weiß nicht, was zu fürchten wäre. Und Euch habe ich nicht gefürchtet, weil Ihr gut seid, und weil Ihr anders seid als die andern.«
»Ja wie sind denn die andern?« fragte Herr Tiburius.
»Sie sind anders«, antwortete Maria. »Ich bin früher zuweilen in das Bad hinein gegangen, wie es hier schier alle tun, um mancherlei Gegenstände zu verkaufen – aber dann ging ich gar nicht mehr hin, als wenn die fremden Leute schon alle weg waren; denn sie haben mich immer – und darunter waren Männer, denen es gar nicht ziemte – an den Wangen genommen und gesagt: ›Schönes Mädchen.‹«
Herr Tiburius legte nach diesen Worten seinen Stift in das Zeichenbuch, tat das Buch zu, kehrte sich auf seinem Steine um und schaute sie an. Er erschrak ungemein; denn sie war wirklich außerordentlich schön, wie er in dem Augenblicke bemerkte. Unter dem Tüchlein, das sie immer auf dem Haupte trug, quollen sanft gescheitelt die dunkelbraunen Haare hervor und zeigten in ihren zwei Abteilungen die feine, schöne Stirne noch feiner und schöner, überhaupt war das ganze Angesicht trotz der frischen und gesunden Farbe unsäglich fein und rein, was durch die groben Kleider, die sie gewöhnlich an hatte, noch eher gehoben als gefährdet wurde. Die Augen waren sehr groß, sehr dunkel und glänzend, sie schauten den Menschen, wenn sie aufgeschlagen waren, sehr offen an, und waren, wenn sie sich nieder schlugen, von den langen, holden Wimpern demütig bedeckt. Die Lippen waren rot und die Zähne weiß. Ihre Gestalt zeigte selbst jetzt, da sie saß, die dem Antlitze entsprechende Größe und war schlank und sanft gebildet.
Herr Tiburius, da er sie so angesehen hatte, wendete sich wieder um, tat sein Buch wieder auf und zeichnete weiter. Aber er zeichnete nicht mehr gar lange, sondern sagte halb zu Maria zurück gewendet: »Ich höre heute lieber auf.«
Er steckte den Stift in die Hülse, welche an dem Zeichenbuche angebracht war, er tat das Buch zu und schnallte es zusammen, er steckte die Sachen, die herum lagen, zu sich und stand auf. Maria erhob sich ebenfalls aus dem Gesteine, in welchem sie gesessen war, und richtete ihr Körbchen zusammen. Dann gingen sie,
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