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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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mindesten gewußt, daß Ihr in Not seid, meine Lage war damals schon ziemlich gut, ich hätte Euch Gewiß mit irgend etwas Beistand geleistet.«
    »Ich weiß, ich weiß,« erwiderte er, »Ihr hättet mir geholfen; aber es ist doch besser, daß es so gekommen ist, wie es gekommen ist. Fremde Hilfe, wie gut sie auch gemeint sei, wie gerne sie auch geleistet wird, drückt doch immer den, der sie empfängt. So aber ist alles aus unserm Eigenen hervor gegangen. Alfred war so zart, daß er zu der Zeit, da wir noch nichts vergelten konnten, immer nur mit gutem Rat oder Handanlegung half, so daß er uns nicht den Glauben nahm, wir haben alles gemacht und haben durch Pflichterfüllung die Sache in den Stand gesetzt, in dem sie ist.«
    Bei diesen Worten hatten wir auf unserem Rückwege um die Ecke eines Felsens gebogen, und das ganze Haus, das uns früher zum Teile verborgen gewesen war, lag vor uns. Es lag mit seinen Nebengebäuden ein wenig tiefer, als unser Standort war, so daß wir alles überblicken konnten. Die unaufhörlich reine Sonne dieser Tage schien mit ihren blendenden Strahlen auf das Anwesen nieder, die Dächer glänzten, die Mauern waren in angenehmem Sonnendufte, die Gewächse streckten alle ihre dunkeln Blätter zu dem segnenden Himmel empor, und die Haide mit ihren Steinen lag in ruhiger, in grauer und sonnenhafter Farbe herum.
    Nachdem wir unwillkürlich ein wenig stehen geblieben und die Sache angeschaut hatten, sagte ich: »Lieber Freund, den größten Schatz habt Ihr bereits in Eurem Hause: Ihr lebt ein innerliches, liebliches, belohnendes Leben, und wenn Ihr auch von der Welt abgeschieden seid und wenig mit fremden Menschen zusammen kommt, so habt Ihr doch in Euch und den Eurigen ein Glück, das Ihr vielleicht nicht kennen gelernt hättet, wenn das Übel nicht über Euch gekommen wäre.«
    »Denkt Ihr auch so,« erwiderte er, »mir ist das schon öfter in den Sinn gekommen. Wir haben einfach, gut und einträchtig gelebt, als wir noch im Wohlstande waren und fast gleichmäßig unsere Zeit und unsere Einkünfte verzehrten; aber erst, als das Mißgeschick zu uns gekommen war, erkannten wir, welche Liebe und Güte und zusammenhaltende Treue in dem menschlichen Herzen wohnen könne. Ich habe es also für eine Schickung der göttlichen Vorsicht gehalten, ich habe es für eine Wohltat gehalten, daß alles so gekommen ist, wie es gekommen ist.«
    »Meine Erfahrung hat mich gelehrt,« antwortete ich, »daß der Schmerz und das, was wir im gewöhnlichen Leben ein Übel nennen, eigentlich nur ein Engel für den Menschen ist, ja der heiligste Engel, indem er den Menschen ermahnt, ihn über sich selbst erhebt, oder ihm Schätze des Gemütes zeigt und darlegt, die sonst ewig in der Tiefe verborgen gewesen waren. – Und wegen des Briefes, Freund Rikar, braucht Ihr gar nicht besorgt zu sein, ich hätte um kein Haar anders von Euch gedacht, wenn Ihr auch seiner gar nicht erwähnt hättet. Nur darum ist es mir jetzt lieb, daß Ihr von ihm gesprochen habt, weil ich durch diese Gelegenheit das so Schöne und Ehrenwerte erfahren habe, was ich erfahren habe.«
    Wir gingen während dieses Gespräches die schwellende Wiege des Rasens sanft abwärts dem Hause zu. Mein Freund war gerührt, seine in das immerwährende Schwarz gekleidete Gestalt schnitt sich scharf von dem hellbeleuchteten Grunde des Rasens und von den in der Sonne fast weiß erscheinenden Steinen ab. Ich ging schweigend neben ihm. Als wir durch die lose Steinmauer in die Anlagen eintraten, betrachtete ich die kräftigen Blätter des Kohles, die dunkeln, aufwärts strebenden der Gemüse, die Pflanzen, welche bloß zum Tragen von Blumen bestimmt waren, die höheren Stämme und das überall verbreitete Zwergobst mit einer Art von Ehrfurcht. Wir gingen die Anlagen hindurch, rechts und links stand alles im besten Gedeihen, die fleißigen Hände von Arbeitern regten sich auf verschiedenen Punkten, und sie griffen nach ihren Kopfbedeckungen, wenn sie uns erblickten, um uns zu grüßen, was sie jedes Mal taten, wenn wir von einem unserer Spaziergänge zurück kamen. Wir traten in das Haus und begaben uns nach einigen unbedeutenden Gesprächen jeder in unser Zimmer.
    Ich war den ganzen Tag über in einer edleren Stimmung.
    Es vergingen von da an mehrere Tage, ich brachte sie mit gewöhnlichen Dingen zu, teils mit Zeichnen, teils mit Marias Pflanzenpflege.
    Da geschah es eines Nachmittages, daß wir an dem Rande des Kastanienwäldchens saßen, nämlich Mutter Victoria,

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