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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Man war sehr vorsichtig, daß man es nicht verscheuche, und man ließ es nur selbst gewähren, daß es immer mehr Zutrauen gewinne.
    Es kam recht oft mit den Kindern, es kam von selber, und da es die neuen Kleider hatte, die dem Schnitte nach wie die alten gemacht waren, blieb es auch manchmal über Nacht da, wozu man ihm ein eigenes Bettchen hergerichtet hatte.
    Von den Eltern des Mädchens vermutete man keinen Widerstand, weil man sah, daß sie sich so wenig um dasselbe kümmerten, weil sie es so in der Gegend herum gehen ließen, weil sie sich nie meldeten, da sie doch wissen mußten, daß das Kind oft in dem Hause sei, und da sie die neuen Kleider sehen mußten, die man ihm gegeben hatte.
    An das Haus hoffte man es zu binden, indem man wie bisher die sanften Fäden der Liebe und Nachsicht walten ließ, bis sein Herz von selber in dem Hause sein würde, bis es nicht mehr fort ginge, und sein Gemüt ohne Rückhalt hingäbe.
    Das Mädchen hatte früher schon vieles mit den Kindern gelernt, und man hatte es gefragt und es in das Gespräch gezogen, ohne daß es eine Absicht merkte, und hatte das Gelernte geordnet und erweitert. Jetzt traf man die Einrichtung, daß der junge Priester, der den Religionsunterricht der Kinder besorgte, zwei Mal in der Woche von der Pfarre herüber kam, um das Mädchen Gott und die Gebräuche unserer heiligen Religion kennen zu lehren. Die Mutter wiederholte die Lehre, und erzählte dem Kinde von heiligen Dingen.
    Das Mädchen lernte sehr feurig, und so wie es den Kindern in körperlicher Fertigkeit und Gewandtheit voraus war, und sie es nachahmten, besonders Sigismund, so lernte es von ihnen wieder andere Dinge, wenn sie in den Zimmern beschäftigt waren, oder wenn sie sich bei der Mutter befanden, oder wenn sie bei der Großmutter waren, oder mit ihr in der Gegend herum gingen.
    So verflossen mehrere Jahre. Das braune Mädchen gewöhnte sich immer mehr an das Haus, es blieb immer da, und ging schier gar nicht mehr fort. Es lernte allerlei Arbeiten, wie sie die andern Mädchen machten, und verrichtete solche Dinge wie sie.
    In die Stadt mit zu gehen, konnte es nicht bewogen werden. Es blieb im Winter immer bei der Großmutter.
    Endlich brachte man es auch dahin, daß es weibliche Kleider trug. Die Mutter hatte die Stoffe dazu gekauft, diese wurden zu Kleidern verarbeitet und mit Bändern nach dem Gebrauche verziert.
    Da es weibliche Kleider trug, war es scheuer, und machte kürzere Schritte.
    Nach und nach wuchsen die Kinder heran, daß sie so groß wie die Eltern waren. Es waren nun drei Schwarzköpfchen. Da die Mutter ihre dunkeln Haare noch immer schön und glänzend bewahrt hatte, war sie das eine, Clementia war das zweite und das braune Mädchen das dritte. Blondköpfchen waren der Vater und Emma. Braunköpfchen war Sigismund allein. Auch ein Weißköpfchen war unter den Kindern vorhanden – die Großmutter. Ihre Haare, die grau waren, waren endlich so weiß geworden, daß, wenn eine Locke neben der Krause der weißen Haare zufällig hervor schaute, sie von derselben nicht zu unterscheiden war.
    Emma war eine schöne Jungfrau geworden, die ernsthaft blickte, blaue Augen im stillen Haupte trug, die Fülle der blonden Haare auf den Nacken gehen ließ, und wie ein altdeutsches Bild war. Clementia war rosig und zart, und das süße Feuer der schwarzen Augen schaute unter den schwarzen Haaren aus der Tiefe der Seele. Sigismund war mutig, heiter und frei, er war wirklich ein Mund des Sieges; denn wenn seine Rede tönte, flogen ihm die Herzen zu.
    Es kamen aus der Nachbarschaft Leute, Jünglinge und Mädchen, selbst aus der fernen Hauptstadt kamen Bekannte, die Bewohner des abgelegenen Hofes zu besuchen. Alle waren fröhlich, nur das braune Mädchen nicht. Seine Wangen waren, wie wenn es krank wäre, und sein Blick war traurig. Wenn alle freudig waren, saß es im Garten, und schaute mit den einsamen Augen um sich.
    Eines Sommers an einem sehr schönen Tage, da Fremde da waren, da man in dem großen Saale des Hauses Tanz, Klavierspiel, Pfänderspiele und städtische Vergnügen trieb, gingen Vater und Mutter gegen die Sandlehne zurück. Dort lag auf einem Sandhaufen in seinen schönen Kleidern das braune Mädchen und schaute mit den verweinten Augen gegen die Erde. Die Mutter näherte sich und fragte: »Was ist dir denn?«
    Das Mädchen erhob sich ein wenig, und da Vater und Mutter sich auf ein Bänkchen neben dem Sandhaufen nieder gelassen hatten, saß es ihnen gleichsam zu Füßen.

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