Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
»Liebes, teures Mädchen,« sagte die Mutter, »betrübe dich nicht, alles wird gut werden, wir lieben dich, wir geben dir alles, was dein Herz begehrt. Du bist ja unser Kind, unser liebes Kind. Oder hast du noch Vater und Mutter, so zeige es uns an, daß wir auch für sie tun, was wir können.«
    »Sture Mure ist tot, und der hohe Felsen ist tot«, sagte das Mädchen.
    »So bleibe bei uns,« fuhr die Mutter fort, »hier ist deine Mutter, hier ist dein Vater, wir teilen alles mit dir, was wir haben, wir teilen unser Herz mit dir.«
    Bei diesen Worten brach das Mädchen in ein Schluchzen aus, das so heftig war, daß es dasselbe erschütterte, und daß es schien, als müsse es ihm das Herz zerstoßen. Es fiel plötzlich mit dem Angesichte gegen den Sand nieder, es drückte mit den Händen ein Teilchen von dem Saume des Gewandes der Frau in einen Knauf zusammen, und preßte diesen Knauf an seine Lippen. Da es nach einem Weilchen die Hand der Frau auf seinen dichten, dunkeln, schönen Locken spürte, die dort ruhte und freundlich drückte, sprang es auf, hob die Arme, die nun nicht mehr so voll und glänzend waren, auf, schlang sie fest um den Nacken der Frau, küßte sie auf die Wange, als müßte es Lippen und Zähne in dieselbe eindrücken, und weinte fort, daß die Tränen über die Wange der Frau herab flossen und ihr Kleid benetzten. Als sich dieses nach und nach löste, als das Mädchen das Haupt zurück bog und nach dem Vater sah, als es merkte, daß es dieser bei der Hand halte, daß er aber nicht sprechen könne, weil seine Augen in Wasser schwammen: da konnte es auch nicht mehr sprechen, seine Lippen bebten, sein Herz hob sich krampfhaft in kurzen Stößen, und so ging es hinter die Glashäuser zurück.
    Der Vater und die Mutter wollten dem Mädchen nicht folgen, damit es sich einsam beruhigen könnte. Sie dachten, es werde sich geben.
    Aber es gab sich nicht. Sie sahen das Mädchen über die Sandlehne empor gehen, und sahen es seitdem nie wieder. Da eine Zeit vergangen war, ohne daß das braune Mädchen erschien, meinten die Eltern und Kinder, es sei nur fort gegangen, und bleibe länger aus, als man jetzt glauben sollte; aber als das Ausbleiben bedenklicher wurde, stellte der Vater Nachforschungen an, und da das Mädchen immer nicht kam, wurden diese Nachforschungen mit allen Mitteln, die es nur gab, betrieben. Aber sie waren wie die früheren ohne Erfolg. In der Nähe kannte man das Mädchen als ein solches, das immer zu den Kindern auf den Hof kam, und betrachtete es fast als ein Mitglied der Familie; in der Ferne wußte man gar nichts von ihm. Alle Bewohner des Hauses, Vater, Mutter, Kinder, Großmutter, waren betrübt, und die Wunde wurde immer heißer.
    Aber als Monate und Jahre vergangen waren, milderte sich der Schmerz, und die Erscheinung sank wie andere immer tiefer in das Reich der Vergangenheit zurück.
    Aber vergessen konnte man das Mädchen nie. Immer redeten alle, besonders die Kinder, von ihm, und als schon viele Jahre vergangen waren, als die Großmutter schon gestorben war, als der Vater schon gestorben war, als die Mutter eine Großmutter war, als die Schwestern Gattinnen in fernen Gegenden waren: war es Sigismund, wenn er auf den Anhöhen stand, wo jetzt das Bächlein mit den grauen Fischlein recht klein geworden war, wo der hohe Nußberg recht klein geworden war, als husche der Schatten des braunen Mädchens an ihm vorüber, er fühlte ein tiefes Weh im Herzen, und dachte: wie oft mußte es herüber gekommen sein, wie oft mußte es einsam gewartet haben, ob seine Gespielen kämen, und wie hat es seinen Schmerz, den es sich in der neuen Welt geholt hatte, in seine alte zurück getragen. Er dachte: wenn dem Mädchen nur recht, recht viel Gutes in der Welt beschieden wäre.

Bergmilch
    Im unserem Vaterlande steht ein Schloß, wie man in manchen Gegenden sehr viele findet, das mit einem breiten Wassergraben umgeben ist, so zwar, daß es eigentlich aussieht, als stünde es auf der Insel eines Teiches. Von solchen Verteidigungsmitteln sind gewöhnlich diejenigen Schlösser umgeben, die auf Flächen liegen, also das Verteidigungsmittel des Wassers haben, aber dafür desjenigen entbehren, das ihre stolzen Schwestern auf hohen Bergen und schroffen Felsen besitzen. Sie müssen die geringere Sicherheit, die ein Wassergraben gibt, noch mit feuchter Luft, mit Fröschequaken und Fliegenungeziefer erkaufen, während ihre erhabenen Schwestern zu dem größeren Schutz der hohen Felsen noch die reine Luft

Weitere Kostenlose Bücher