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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Taten und künftiger Größe, der Blick in ein unendliches, erst kommendes Leben, oder wie das erste Stammeln in irgend einer Kunst von dem Greise in dem sanften Spiegel seiner Erinnerung beglückender aufgefaßt als von dem Jünglinge, der sie in dem Brausen seines Lebens überhört, und an der grauen Wimper mag manche beseligendere und mitunter schmerzlichere Träne hängen als der feurige Funke, der in überwältigender Empfindung aus dem Auge des Jünglings springt und keine Spur hinterläßt. Ich lese jetzt selten mehr die größten Geister im Zusammenhange – mit kleineren tue ich es wohl, weil sie in einzelnen Stellen minder bedeutend sind –, aber ich lese immer in ihnen, und werde wohl bis zu meinem Lebensende in ihnen lesen. Sie begleiten mich mit ihren Gedanken wie mit großen Erquickungen durch den Rest meines Lebens, und werden mir wohl, wie ich ahne, an der dunkeln Pforte Kränze aufhängen,als wären sie von meinen eigenen Rosen geflochten. Deshalb gehe ich auch kein Buch aus dem Hause, weil ich nicht weiß, ob ich es nicht in nächster Zeit selber brauchen werde. Im Hause stehen sie jedem, der davon Gebrauch machen will, zu Gebote. Nur für Gustav wird eine Auswahl getroffen, weil er noch zu jung ist und nicht alles sondern kann. Er würde hier zwar nichts gänzlich Schlechtes finden; aber nicht alles Gute würde er verstehen, und dann wäre die daran gewendete Zeit verloren; oder er könnte es mißverstehen, und dann wäre der Erfolg ein unrichtiger. Das Schlechte, das sich Dichtkunst nennt, ist der Jugend sehr gefährlich. In der Wissenschaft zeigt es sich viel leichter auf. In der Mathematik liegt es in der Darstellung, da solche Werke wohl kaum vorkommen dürften, in denen sogar der Stoff fehlerhaft wäre, in der Naturwissenschaft liegt es in der Darstellung wie im Stoffe, in welch letzterem es sich in der Gestalt gewagter Behauptungen ausspricht; nur in der sogenannten Weisheitslehre kann es verborgener sein gleichwie in der Dichtkunst, weil manche Weisheitslehre wie Dichtkunst zusammen gestellt ist und wirkt; aber in den Werken der eigentlichen Dichtkunst versteckt es sich vor dem blühenden Gemüte des Jünglings, dieser breitet seine Blüten und seine Begierden darüber, und saugt das Gift in sich. Ein klarer Verstand, der sich von Kindheit an eben zur Klarheit hingeübthat, und ein gutes, reines Herz sind Schutzwehren vor Schlechtigkeit und Sittenlosigkeit von Dichtungen, weil der klare Verstand den hohlen Schwulst von sich abweist und das reine Herz die Unsittlichkeit ablehnt. Aber beides geschieht nur gegen die Entschiedenheit des Schlechten. Wo es in Reize verhüllt ist und mit Reinem gemischt, dort ist es am bedenklichsten, und da müssen Ratgeber und väterliche Freunde zu Hilfe stehen, daß sie teils aufklären, teils von vornherein die Annäherung des Übels aufhalten. Gegen die Schlechtigkeit in der Darstellung oder gegen die lange Weile braucht man kein Mittel als sie selber. Ihr seid zwar noch jung; aber Ihr seid nicht so jung zu dem Lesen von Dichtern gekommen wie die meisten unserer Jünglinge, und Ihr habt so viel in Wissenschaften gelernt, daß ich glaube, daß man Euch alle Dichter in die Hände geben kann, ohne Gefahr zu befürchten, selbst bei solchen, die in ihrem Amte sehr zweifelhaft sind. Euer Geist wird sich wohl heraus finden und gerade dadurch noch mehr klären. Da ich von der Weisheitslehre sprach, welche man in unserem deutschen Lande noch immer als Weisheitsliebe mit dem griechischen Worte Philosophie bezeichnet, muß ich Euch sagen, was Ihr wohl vielleicht schon aus anderen Reden von mir gemerkt haben mögt, daß ich nicht gar sehr viel auf sie halte, wenn sie in ihrem eigenen und eigentümlichen Gewandeauftritt. Ich habe alte und neue Werke derselben mit gutem Willen durchgenommen; aber ich habe mich zu viel mit der Natur abgegeben, als daß ich auf ledigliche Abhandlungen ohne gegebener Grundlage viel Gewicht legen könnte, ja sie sind mir sogar widerwärtig. Vielleicht reden wir noch ein anderes Mal von dem Gegenstande. Wenn ich je einige Weisheit gelernt habe, so habe ich sie nicht aus den eigentlichsten Weisheitsbüchern, am wenigsten aus den neuen – jetzt lese ich gar keine mehr – gelernt; sondern ich habe sie aus Dichtern genommen, oder aus der Geschichte, die mir am Ende wie die gegenständlichste Dichtung vorkömmt.«
    Als ich meinen Gastfreund so reden hörte, erinnerte ich mich, daß ich ihn in der Tat viel lesen gesehen habe. Oft war er mit einem

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