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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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teilnahmlos zu. Wir fuhren auch nicht so oft in die Nachbarschaft wie im vergangenen Jahre, und verlangten es auch nicht.
    Eines Tages nachmittags standen wir drei an dem Ausgange des langen Laubenweges, der mit Reben bekleidet ist und zu dem Obstgarten führt. Mathilde und ich standen ganz allein an der Mündung des Laubganges, Alfred war unter den Bäumen damit beschäftigt gewesen, einige Täfelchen, die an den Stämmen hingen und schmutzig geworden waren, zu reinigen, dann las er abgefallenes halbreifes Obst zusammen, legte es in Häufchen, und sonderte das bessere von dem schlechteren ab. Ich sagte zu Mathilden, daß der Sommer nun bald zu Ende sei, daß die Tage mit immer größerer Schnelligkeit kürzer werden, daß bald die Abende kühl sein würden, daß dann dieses Laub sich gelb färben, daß man die Trauben ablesen und endlich in die Stadt zurückkehren würde.
    Sie fragte mich, ob ich denn nicht gerne in die Stadt gehe.
    Ich sagte, daß ich nicht gerne gehe, daß es hier gar so schön sei, und daß es mir vorkomme, in der Stadt werde alles anders werden.
    ›Es ist wirklich sehr schön‹, antwortete sie, ›hier sind wir alle viel mehr beisammen, in der Stadt kommen Fremde dazwischen, man wird getrennt, und es ist, als wäre man in eine andere Ortschaft gereist. Es ist doch das größte Glück, jemanden recht zu lieben.‹
    ›Ich habe keinen Vater, keine Mutter und keine Geschwister mehr‹, erwiderte ich, ›und ich weiß daher nicht, wie es ist.‹
    ›Man liebt den Vater, die Mutter, die Geschwister‹, sagte sie, ›und andere Leute.‹
    ›Mathilde, liebst du denn auch mich?‹ erwiderte ich.
    Ich hatte sie nie du genannt, ich wußte auch nicht, wie mir die Worte in den Mund kamen, es war, als wären sie mir durch eine fremde Macht hineingelegt worden. Kaum hatte ich sie gesagt, so rief sie: ›Gustav, Gustav‹, so außerordentlich, wie es gar nicht auszusprechen ist.
    Mir brachen die heftigsten Tränen hervor.
    Da flog sie auf mich zu, drückte die sanften Lippen auf meinen Mund und schlang die jungen Arme um meinen Nacken. Ich umfaßte sie auch und drückte die schlanke Gestalt so heftig an mich, daß ich meinte, sie nicht loslassen zu können. Sie zitterte in meinen Armen und seufzte.
    Von jetzt an war mir in der ganzen Welt nichts teurer als dieses süße Kind.
    Als wir uns losgelassen hatten, als sie vor mir stand, erglühend in unsäglicher Scham, gestreift von den Lichtern und Schatten des Weinlaubes, und als sich, da sie den süßen Atem zog, ihr Busen hob und senkte: war ich wie bezaubert, kein Kind stand mehr vor mir, sondern eine vollendete Jungfrau, der ich Ehrfurcht schuldig war. Ich fühlte mich beklommen.
    Nach einer Weile sagte ich: ›Teure, teure Mathilde.‹
    ›Mein teurer, teurer Gustav‹, antwortete sie.
    Ich reichte ihr die Hand und sagte: ›Auf immer, Mathilde.‹
    ›Auf ewig‹, antwortete sie, indem sie meine Hand faßte.
    In diesem Augenblicke kam Alfred auf uns herzu. Er bemerkte nichts. Wir gingen schweigend neben ihm in dem Gange dahin. Er erzählte uns, daß die Namen der Bäume, die auf weiße Blechtäfelchen geschrieben sind, welche Täfelchen an Draht von dem untersten Aste jedes Baumes hernieder hängen, von den Leuten oft sehr verunreinigt würden, daß man sie alle putzen solle und daß der Vater den Befehl erlassen sollte, daß ein jeder, der einen Baum wäscht, putzt oder dergleichen, oder der sonst eine Arbeit bei ihm verrichtet, sich sehr in Acht zu nehmen habe, daß er das Täfelchen nicht bespritzt oder sonst eine Unreinigkeit darauf bringt. Dann erzählte er uns, daß er schöne Borsdorfer Äpfel gefunden habe, welche durch einen Insektenstich zu einer früheren, beinahe vollkommenen Reife gediehen seien. Er habe sie am Stamme des Baumes zusammengelegt, und werde den Vater bitten, sie zu untersuchen, ob man sie nicht doch brauchen könne. Dann seien viele andere, welche vor der Zeit abfielen, weil die Bäume heuer mit zu viel Obst beladen wären, und ihre Kraft nicht genug ist, alle zur Reife zu bringen. Diese habe er auch zusammengelegt, so viele er in der ersten Baumreihe habe finden können. Sie werden wohl zu gar nichts tauglich sein. Er freue sich schon sehr auf den Herbst:, wo man alles das herabnehmen werde, und wo auch die schönen roten, blauen und goldgrünen Trauben von diesem Ganggeländer heruntergelesen werden würden. Es sei gar nicht mehr lange bis dahin.
    Wir sprachen nicht, und gingen einige Male in dem Gange mit ihm hin und

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