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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Unsägliches vermehrt worden. Wenn wir in dem Hause waren, so wurde ein Buch gereicht, in dem unsere Gefühle standen, und das andere erkanntedie Gefühle, oder es wurden sprechende Musiktöne hervorgesucht, oder es wurden Blumen in den Fenstern zusammengestellt, welche von unserer Vergangenheit redeten, die so kurz und doch so lang war. Wenn wir durch den Garten gingen, wenn Alfred um einen Busch bog, wenn er in dem Gange des Weinlaubes vor uns lief, wenn er früher aus dem Haselgebüsche war als wir, wenn er uns in dem Innern des Gartenhauses allein ließ, konnten wir uns mit den Fingern berühren, konnten uns die Hand reichen, oder konnten gar Herz an Herz fliegen, uns einen Augenblick halten, die heißen Lippen an einander drücken und die Worte stammeln: ›Mathilde, dein auf immer und auf ewig, nur dein allein, und nur dein, nur dein allein!‹
    ›O ewig dein, ewig, ewig, Gustav, dein, nur dein, und nur dein allein.‹
    Diese Augenblicke waren die allerglückseligsten.
    So war der tiefe Herbst gekommen. Wir hatten in dem Reste des Sommers ein Äußeres nicht vermißt. Mathilde und Alfred hatten immer weniger verlangt, in die Nachbarschaft zu fahren, und so war es gekommen, daß auch die Eltern weniger fuhren, und daß auch Fremde weniger zu uns kamen. Wenn sie aber da waren, wenn auch Alfred an den Spielen und Ergötzungen der Kinder Teil nahm, so war Mathilde doch teilnahmloser als je. Sie hielt sich ferne, wie eine, die nicht hieher gehört. Auch in ihrem körperlichen Wesen war in dieser kurzen Zeit eine große Veränderung vorgegangen. Sie war stärker geworden, ihre Wangen waren purpurner, ihre Augen glänzender geworden. Alfred liebte mich sehr. Neben seinen Eltern und seiner Schwester liebte er vielleicht nichts so sehr als mich, und ich vergalt es ihm mit ganzer Seele.
    Der späte Herbst war endlich dem Beginne des Winters gewichen. Wie wir sehr früh von der Stadt auf das Land gingen, so blieben wir auch sehr tief in die sinkende Jahreszeit hinein auf demselben. Alfreds Erwartung war in Erfüllung gegangen. Das Obst und die Trauben waren abgenommen worden. Auf den Zweigen der Bäume war kein Blatt mehr, und der Nebel und der Frost zogen sich durch die Gründe des Tales. Da gingen wir in die Stadt. Dort war Mathilde enger umgrenzt. Lehrer, Erziehungsstunden, Unterricht, Arbeiten drängten sich an sie heran. Ihr ganzes Wesen aber war begeisterter und getragener, und ich erschien mir reich, um vieles reicher als die Besitzer all der Häuser, der Paläste und des Glanzes der ungeheuren Stadt. Wir konnten uns nur seltener sprechen; aber wenn sie mir auf dem Gange begegnete, wenn sie mir in dem Zimmer der Mutter einige Worte sagen konnte, wenn in der Menge das Geschick uns an einander vorüberführte, oder wenn uns ein anderer günstiger Augenblick gegeben war: dann sagten mir ihre schönen Augen, dann sagten einige Worte, wie sehr wir uns liebten, wie unveränderlich diese Liebe sei, und wie unbegrenzt unsere Seelen einander beherrschten. Sie wurde jetzt auch von andern Leuten bemerkt, und junge Männer richteten ihre Augen auf sie; aber wenn man ihr entgegen kam, wenn ihr gehuldigt wurde, wenn man sie in einer Familie feierte: so war sie ganz ruhig gegen diese Dinge, setzte ihnen gar keine Äußerung entgegen, und ihr engelschönes Wesen sagte mir, es sagte es nur von mir verstanden, daß sie mit ihrer wundervollen Gestalt, mit der Wärme ihrer Seele und dem Glanz ihres Aufblühens nur mich beglücke, und daß es ihr Wonne mache, mich beglücken zu können. Oft, wenn ich von weiten Gängen in der Stadt zurückkehrte und zu dem Hause kam, in welchem wir wohnten, blieb ich stehen und betrachtete das Haus. Es war merkwürdiger, es war gefeit worden vor den Häusern der Stadt, und mit Rührung sah ich auf die Mauern, innerhalb welcher das Wesen wohnte, das von überirdischen Räumen gekommen war, meine Seele zu erfüllen. Mathilde sah die Vergötterung, welche ich ihr weihte, sie sah dieselbe genau auf den geheimen Wegen, auf denen ich ihre Liebe erkannte, und Freude leuchtete darüber von ihrer Stirne, welche gleichfalls nur von mir gesehen wurde. Die Eltern Mathildens fingen auch an, sie in vorzüglichere Stoffe zu kleiden, als sie bisher getanhatten, und wenn sie mit edlen Gewändern angetan vor mir stand, kam sie mir ferner und näher, fremder und angehöriger vor als sonst.
    Eines Tages, als ich über die Treppe unsers Hauses, welches nur von unserer Familie allein bewohnt wurde, herabging, um einen

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