Werke
wider.
Die große Erregung hatte sich ein wenig gelegt, und wir gingen in das Haus. Ich ging aber nicht mit Mathilden zu ihrer Mutter, wie ich sonst immer getan hatte, sondern nachdem ich Alfred in sein Zimmer geschickt hatte, schweifte ich durch die Büsche herum, und ging immer wieder auf den Platz, von welchem ich die Fenster sehen konnte, innerhalb welcher die teuerste aller Gestalten verweilte. Ich meinte, ich müsse sie durch mein Sehnen zu mir herausziehen können. Es war erst ein Augenblick, seit wir uns getrennt hatten, und mir erschien es so lange. Ich glaubte, ohne sie nicht bestehen zu können, ich glaubte, jede Zeit sei ein verlornes Gut, in welcher ich das holde, schlanke Mädchen nicht an mein Herz drückte. Ich hatte früher nie irgend ein Mädchen bei der Hand gefaßt als meine Schwester, ich hatte nie mit einem ein liebes Wort geredet oder einen freundlichen Blick gewechselt. Dieses Gefühl war jetzt wie ein Sturmwind über mich gekommen. Ich glaubte sie durch die Mauern in ihrem Zimmer gehen sehen zu müssen mit dem langen kornblumenblauen Kleide, mit den glanzvollen Augen und dem rosenherrlichen Munde. Es bewegte sich der Fenstervorhang; aber sie war nicht an demselben, es schimmerte an dem Glase wie von einem rosigen Angesichte; aber es war nur ein schiefes Hereinleuchten der beginnenden Abendröte gewesen. Ich ging wieder durch die Büsche, ich ging durch den Weinlaubengang in den Obstgarten, der Weinlaubengang war mir jetzt ein fremdwichtiges Ding, wie ein Palast aus dem fernsten Morgenlande. Ich ging durch das Haselnußgebüsch zu dem Rosenhause, es war, als blühten und glühten alle Rosen um das Haus, obwohl nur die grünen Blätter und die Ranken um dasselbe waren. Ich ging wieder zu unserem Wohnhause zurück, und ging auf den Platz, von dem ich Mathildens Fenster sehen mußte. Sie beugte sich aus einem heraus und suchte mit den Augen. Als sie mich erblickt hatte, fuhr sie zurück. Auch mir war es gewesen da ich die holde Gestalt sah, als hatte mich ein Wetterstrahl getroffen. Ich ging wieder in die Büsche. Es waren Flieder in jener Gegend, die eine Strecke Rasen säumten und in ihrer Mitte eine Bank hatten, um im Schatten ruhen zu können. Zu dieser Bank ging ich immer wieder zurück. Dann ging ich wieder auf ein Fleckchen Rasen und sah gegen die Fenster.Sie beugte sich wieder heraus. Dies taten wir ungezählte Male, bis der Flieder in dem Rot der Abendröte schwamm und die Fenster wie Rubinen glänzten. Es war zauberhaft, ein süßes Geheimnis mit einander zu haben, sich seiner bewußt zu sein und es als Glut im Herzen zu hegen. Ich trug es entzückt in meine Wohnung.
Als wir zum Abendessen zusammen kamen, fragte mich Mathildens Mutter: ›Warum seid Ihr denn heute, da Ihr mit den Kindern aus dem Garten zurückgekehrt waret, nicht mehr zu mir gegangen?‹
Ich vermochte auf diese Frage nicht ein Wort zu antworten; es wurde aber nicht beachtet.
Ich schlief in der ganzen Nacht kaum einige Augenblicke. Ich freute mich schon auf den Morgen, an dem ich sie wieder sehen würde. Wir trafen alle in dem Speisesaale zu dem Frühmahle zusammen. Ein Blick, ein leichtes Erröten sagte alles, sie sagten, daß wir uns besaßen, und daß wir es wußten. Den ganzen Morgen brachte ich mit Alfred im eifrigen Lernen zu. Gegen Mittag, als Gräser und Laubblätter getrocknet waren, gingen wir in den Garten. Mathilde flog mit einem Buche, in dem sie eben gelesen hatte, aus dem Hause, sie eilte auf uns zu, und wir tauschten den Blick der Einigung. Sie sah mich innig an, und ich fühlte, wie meine Empfindung aus meinen Augen strömte. Wir gingen durch den Blumengarten und durch den Gemüsegarten auf den Weinlaubengang zu. Es war, als hätten wir uns verabredet, dorthin zu gehn. Mathilde und ich sprachen gewöhnliche Dinge, und in den gewöhnlichen Dingen lag ein Sinn, den wir verstanden. Sie gab mir ein Weinblatt, und ich verbarg das Weinblatt an meinem Herzen. Ich reichte ihr ein Blümchen, und sie steckte das Blümchen in ihren Busen. Ich nahm ihr das Papierstreifchen, welches als Merkmal in ihrem Buche steckte, und behielt es bei mir. Sie wollte es wieder haben, ich gab es nicht, und sie lächelte und ließ es mir. Wir kamen in das Haselgebüsch, durchstreiften es, und traten vor die Rosen des Gartenhauses. Sie nahm einige welke Blätter ab und reinigte dadurch den Zweig.
Ich tat das nämliche mit dem Nachbarzweige. Sie gab mir ein grünes Rosenblatt, ich knickte einen zarten Zweig, was eigentlich nicht
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