Werke
heftig, daß ich meinte, ihre mir noch immer so teuere Brust müsse zerspringen.
›Mathilde‹, sagte ich sanft, ›erhole dich.‹ ›Führe mich in das Haus‹, sprach sie leise. Ich rief erst durch mein Glöckchen, welches ich immer bei mir trage, meinen Hausverwalter herzu und befahl ihm, Wagen und Pferde unterzubringen. Dann faßte ich Mathildens Arm und führte sie in das Haus. Als wir in dem Speisezimmer angelangt waren, sagte ich zu dem Knaben: ›Setze dich hier nieder und warte, bis ich mit deiner Mutter gesprochen und die Tränen, die ihr jetzt so weh tun, gemildert habe.‹
Der Knabe sah mich traulich an, und gehorchte. Ich führte Mathilde in das Wartezimmer und bot ihr einen Sitz an. Als sie sich in die weichen Kissen niedergelassen hatte, nahm ich ihr gegenüber auf einem Stuhle Platz. Sie weinte fort; aber ihre Tränen wurden nach und nach linder. Ich sprach nichts. Nachdem eine Zeit vergangen war, quollen ihre Tropfen sparsamer und weniger aus den Augen, und endlich trocknete sie die letzten mit ihrem Tuche ab. Wir saßen nun schweigend da und sahen einander an. Sie mochte auf meine weißen Haare schauen, und ich blickte in ihr Angesicht. Dasselbe war schon verblüht; aber auf den Wangen und um den Mund lag der liebe Reiz und die sanfte Schwermut, die an abgeblühten Frauen so rührend sind, wenn gleichsam ein Himmel vergangener Schönheit hinter ihnen liegt, der noch nachgespiegelt wird. Ich erkannte in den Zügen die einstige prangende Jugend.
›Gustav‹, sagte sie, ›so sehen wir uns wieder. Ich konnte das Unrecht nicht mehr tragen, das ich dir angetan habe.‹ ›Es ist kein Unrecht geschehen, Mathilde‹, sagte ich.
›Ja, du bist immer gut gewesen‹, antwortete sie, ›das wußte ich, darum bin ich gekommen. Du bist auch jetzt gut, das sagt dein liebes Auge, das noch so schön ist wie einst, da es meine Wonne war. O ich bitte dich, Gustav, verzeihe mir.‹
›O teure Mathilde, ich habe dir nichts zu verzeihen, oder du hast es mir auch‹, antwortete ich. ›Die Erklärung liegt darin, daß du nicht zu sehen vermochtest, was zu sehen war, und daß ich dann nicht naher zu treten vermochte, als ich hätte näher treten sollen. In der Liebe liegt alles.
Dein schmerzhaftes Zürnen war die Liebe, und mein schmerzhaftes Zurückhalten war auch die Liebe. In ihr liegt unser Fehler, und in ihr liegt unser Lohn.‹
›Ja, in der Liebe‹, erwiderte sie, ›die wir nicht ausrotten konnten. Gustav, ich bin dir doch trotz allem treu ge blieben, und habe nur dich allein geliebt. Viele haben mich begehrt, ich wies sie ab; man hat mir einen Gatten gegeben, der gut, aber fremd neben mir lebte, ich kannte nur dich, die Blume meiner Jugend, die nie verblüht ist.
Und du liebst mich auch, das sagen die tausend Rosen vor den Mauern deines Hauses, und es ist ein Strafgericht für mich, daß ich gerade zu der Zeit ihrer Blüte ge kommen bin.‹
›Rede nicht von Strafgerichten, Mathilde‹, erwiderte ich, ›und weil alles andere so ist, so lasse die Vergangenheit, und sage, welche deine Lage jetzt ist. Kann ich dir in irgend etwas helfen?‹
›Nein, Gustav‹, entgegnete sie, ›die größte Hilfe ist die, daß du du bist. Meine Lage ist sehr einfach. Der Vater und die Mutter sind schon längst tot, der Gatte ist eben falls vor langem gestorben, und Alfred – du hast ihn ja recht geliebt –‹
›Wie ich einen Sohn lieben würde‹, antwortete ich.
›Er ist auch tot‹, sagte sie, ›er hat kein Weib, kein Kind hinterlassen, das Haus in Heinbach und das in der Stadt hat er noch bei seinen Lebzeiten verkauft. Ich bin im Be sitze des Vermögens der Familie, und lebe mit meinen Kindern einsam. Lieber Gustav, ich habe dir den Knaben gebracht – – wie wußtest du denn, daß er mein Sohn sei?‹
›Ich habe deine schwarzen Augen und deine braunen Locken an ihm gesehen‹, antwortete ich.
›Ich habe dir den Knaben gebracht‹, sagte sie, ›daß du sähest, daß er ist wie dein Alfred – fast sein Ebenbild –, aber er hat niemanden, der so lieb mit ihm umgeht, wie du mit Alfred umgegangen bist, der ihn so liebt, wie du Alfred geliebt hast, und den er wieder so lieben könnte, wie Alfred dich geliebt hat.‹
›Wie heißt der Knabe?‹ fragte ich. ›Gustav, wie du‹, antwortete sie.
Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten.
›Mathilde‹, sagte ich, ›ich habe nicht Weib, nicht Kind, nicht Anverwandte. Du warst das einzige, was ich in meinem ganzen Leben besaß und behielt. Lasse mir
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